Lewin, M. Der Erfolg der Seele und der Misserfolg des Herren. Ein Beitrag zur intersubjektiven Interpretation der Herr-Knecht-Dialektik. Hegel-Jahrbuch Sonderband: Erkenne Dich selbst – Anthropologische Perspektiven II: 122-129. (in press).

 

I Einleitung

Das Bedürfnis nach Philosophie entstehe, so der Jenaer als auch Berliner Hegel, wenn der Verstand Gegensätze aufstellt und nicht mehr in der Lage ist, sie in ein vernünftiges Verhältnis zueinander und zum Absoluten zu bringen.[1] Die höchste Form von Entgegensetzung lasse sich allgemein-begrifflich als absolute Subjektivität versus absolute Objektivität artikulieren. Unter seinen Zeitgenossen habe Schelling als Erster diesen Gegensatz aufgehoben, indem er die Idee des Absoluten als an und für sich seiend bestimmte.[2] Bei Fichte bleibe die Subjekt-Objektivität hingegen eine bloß sein sollende, es komme zu keiner wirklichen Einheit des Ich und Nicht-Ich, weil sie im Vorhinein als zwei getrennte absoluta bestimmt werden, die auf eine in die Unendlichkeit gehende unerreichbare synthesis post factum angewiesen seien.[3] Davon ausgehend erkennt der Jenaer Hegel, dass die mangelhafte Lösung der Subjekt-Objekt-Identität auf der Ebene der Prinzipien der Wissenschaftslehre sich durch weitere Teile der Fichteschen Philosophie hindurchziehe. Ein bloßes Sein-Sollen der absoluten Idee hebe die subjektive Seite hervor und stelle sie über die objektive. Damit entstehe eine ungleichmäßige und vom Gegensatz nicht befreite Dominanzkorrelation. Dieses defizitäre subjektivistische Lösungsmodell äußere sich entsprechend in der angewandten Wissenschaftslehre, die Hegel zum Zeitpunkt des Verfassens der Differenzschrift im Jahr 1801 als Naturrechts- (1796/97) und Sittenlehre (1798) kennt. Im Hinblick auf das intersubjektive Verhältnis innerhalb der menschlichen Gemeinschaft im Naturrecht zeige sich die einseitige Dominanz des Subjektiven bei Fichte als Herrschaft und Unterwerfung. Es handele sich dabei zum einen über die beliebige Herrschaft des Einzelnen über Einzelne und die Negation ihrer freien Lebendigkeit,[4] die sich zum anderen in der Unterwerfung aller unter einen „Verstandesstaat“ wiederfinde, dessen Volk eine „lebensarme Vielheit“ bilde, dessen Zusammenschluss in ein „endloses Beherrschen“ übergehe.[5] Die einseitige Subjektivität äußere sich dagegen in der Sittenlehre auf eine intrasubjektive Weise. Das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft kehrt sich nach Innen, das Gebietende ist nicht mehr eine fremde Macht, sondern die eigene Freiheit, die die Natur unterdrückt. Die Subjekt-Objekt-Korrelation steigere sich aus Hegels Sicht in Fichtes Sittenlehre zu einem viel unnatürlicheren Widerspruch, weil die innere Harmonie des Individuums komplett zerstört werde und er den Ausweg aus dieser Nichtidentität nur in der formalen Einheit des Begriffs, dem Ich=Ich finden könne.[6]

     Hegel hatte also gemäß seiner Fichte-Rezeption zwei Arten des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft vor Augen, die anfängliche intersubjektive aus der Konstellation der Naturrechtslehre und die darauf aufbauende intrasubjektive aus der Sphäre der Sittenlehre. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass er im Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes von 1807 beide in entsprechender Reihenfolge behandelt: „Hierdurch ist die Verdoppelung, welche früher an zwei einzelne, an den Herrn und den Knecht, sich verteilte, in Eines eingekehrt; die Verdoppelung des Selbstbewusstseins in sich selbst“.[7] Im Textabschnitt A, der explizit mit „Herrschaft und Knechtschaft“ überschrieben ist, liefert die Gemeinschaft vernünftiger Wesen aus der Perspektive des Naturrechts – abstrakt betrachtet – das Thema. Das Problem besteht dabei darin, dass jedes Vernunftwesen ein „gedoppeltes fürs andere [ist]: a) ein freies, vernünftiges Wesen; b) eine modifikable Materie, ein Fähiges, als bloße Sache behandelt zu werden“.[8] Im Textabschnitt B geht es um eine Abstraktion aus der sittlichen Gemeinschaft der Vernunftwesen und um drei verschiedene „Schulen“ bzw. Möglichkeiten, sich zur eigenen Natur zu verhalten – „[s]ein eigener Herr und Knecht zu sein“ und nicht ein „Knecht eines Fremden“.[9]

     Wenn man von der Herr-Knecht-Dialektik spricht, dann meint man zumeist oder ausschließlich den Textabschnitt A, was zwar der Überschrift, nicht aber der Sache nach korrekt ist – sie umfasst beide Arten in geordneter Reihenfolge. Folgt man aber dieser Konvention, dann muss eingeräumt werden, dass Hegel dort entweder (1) ein intersubjektives oder (2) intrasubjektives Verhältnis oder (3) beides, aber gleichzeitig meint – z.B. eine psychologische innere Erfahrung, die parallel zum äußerlichen Verhältnis stattfindet.[10] Ausgehend von Hegels Fichte-Rezeption und von dem methodologischen Leitfaden kann es sich nur um die Variante (1) handeln.[11] Will man aber eine heterodoxe intrasubjektive Interpretation vorschlagen, so ist man auf das Aufstellen von Analogien angewiesen. Es gibt zumindest fünf Möglichkeiten, das Kapitel über die Herrschaft und Knechtschaft anders als intersubjektiv zu verstehen:

  • – Formale Analyse der Fichteschen Formel Ich=Ich, wobei unter dem einen Ich das unendliche Selbstbewusstsein, der Herr, und unter dem anderen das endliche Bewusstsein, der Knecht, verstanden wird.[12]
  • – Transzendentalphilosophische Analogiebildung: Ein Kampf zwischen der Apperzeption und Sinnlichkeit.[13]
  • – Psychologische Auslegung: Ein grundlegender innerer Konflikt, z.B. zwischen herrschenden geistigen und sinnlichen Werten oder umgekehrt.
  • – Konkret-pragmatische Interpretation: Danach wird zwischen einer Absicht, einem Wunsch bzw. einem Befehl zu einer beliebigen Handlung und dem Vollzug, der gelungenen oder gescheiterten Ausführung unterschieden. Die befehlende und kontrollierende Instanz innerhalb eines Bewusstseins ist der Herr, ihr unterworfen ist entweder der Leib, oder auch die Seele und untergeordnete Funktionen des Bewusstseins.[14]
  • – Anthropologische Interpretation: Nach dieser Interpretationsmöglichkeit verdeutliche die Herr-Knecht-Dialektik den Machtkampf der Seele mit dem Leib. Wie bei Platon oder im Christentum behauptet der Leib sein Recht und verfolgt seine eigenen natürlichen Ziele. Er soll daher durch Arbeit und Mühe unter die Kontrolle der Seele gelangen, bis sie die Herrschaft über ihn übernimmt.[15]

     Im Folgenden will ich zeigen, welche Folgen die anthropologische intrasubjektive Interpretation der Herr-Knecht-Dialektik hat. Ich will die These vertreten, dass sie Elemente aus dem anthropologischen Teil des subjektiven Geistes mit einer prekären Sinnverschiebung in die Phänomenologie importiert. Dazu mache ich auf einen Widerspruch aufmerksam, der nach einer konzisen textnahen Rekonstruktion des Abschnittes zur Anthropologie der Enzyklopädie auftritt.

 

II Der Machtkampf der Seele mit dem Leib

Wenn wir von der Seele und vom Leib sprechen, dann sind wir bei Hegel auf der Stufe der Anthropologie als dem ersten Teil der Geistesphilosophie. Die Logik und die Natur haben sich als der Allgemeinheit der absoluten Idee inadäquat herausgestellt und mussten sich notwendigerweise zum Geist fortentwickeln.[16] Den Schlussstein der Naturbetrachtung bildet dabei ein Widerspruch zwischen der unmittelbaren Einzelheit eines Lebewesens und der Allgemeinheit seines Lebens in der Gattung.[17] Dieser Widerspruch ist das Höchste, zu dem ein Tier gelangt. Es ist ein beständiger Kreislauf, bei dem jedes einzelne Individuum nur ein äußerliches Verhältnis zu seiner Gattung aufbauen kann – es empfindet sie, lebt im Rahmen ihrer Bestimmungen und hebt seinen besonderen Unterschied von ihrer Allgemeinheit im Tod auf.[18] Der Mensch kann dagegen aufgrund seiner Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ein Wissen von seiner Gattung erreichen und in das Innere seiner Lebensverhältnisse schauen. Dank dieser Anlage ist er zur Unabhängigkeit von der gegebenen Natürlichkeit bestimmt. Hegel sieht entsprechend in der Idee der Freiheit die prinzipielle Äußerung des Absoluten auf dem Gebiet des Geistes:[19] Das Faktum des Reflexionsvermögens, des Denken-Könnens, verweist auf die Möglichkeit, der Außenleitung der Natur überlegen, im Voraus zu sein. Um diese bloße Potenzialität, Freiheit und Wahrheit zu sein, wirklich zu machen, muss der Geist durch mehrere Schritte zu sich kommen und sich offenbar werden.

     Das erste Teilziel liegt dabei in der Beendigung des Schlafes in der Natur, oder, anders gesagt, im Übergang von der passiven Außengeleitetheit zur Reflexion über die gegebenen Naturbestimmungen, d.h. von der Seele zum Bewusstsein. Die Natur übernimmt nämlich zunächst die Kontrolle und die Lenkung der tierischen und menschlichen Seele, sie bildet sich in sie hinein. In diesem anfänglichen In-der-Welt-Sein verweilt die natürliche Seele als die Knospe, aus der einst der Geist in seiner Sichoffenbarung hervorgehen wird. Dazu muss eine Reihe von Erfahrungen stattfinden. Im ersten Teil der Anthropologie werden sie zunächst von der Natur und nicht vom Individuum selbst veranlasst. Es findet dabei aber schon eine erste subtile Idealisierung, eine Verarbeitung der Naturgegebenheiten zu Qualitäten statt. Es hinterlassen z.B. die Jahreszeiten und geografische Besonderheiten eine Wirkung, die sich letztendlich an einem einzelnen Individuum zeigt. Die Seele wird aber im höheren Maß durch diejenigen natürlichen Entwicklungen beeinflusst, die zu der Art „Mensch“ gehören. So rütteln die Unterschiede der Lebensalter und des Geschlechts die Seele langsam wach und versetzen sie in einen fruchtbaren Widerspruch gegen ihre anfänglichen einfachen Bestimmungen. Eine große Rolle spielen ferner die Erfahrungen mit verschiedenen wechselnden Empfindungen, die sie als zufällige und in der Dauer beschränkte ergreifen und mitnehmen bzw. loslassen können: Die Seele beginnt sich als allgemeine und als gegenüber den zufälligen Bestimmungen fürsichseiende zu fühlen oder zu ahnen.[20]

     Dieses Zwischenergebnis ist wichtig, weil mit ihm der zweite Teil der Anthropologie beginnt, nämlich, in Hegels eigenen Worten, „der Befreiungskampf, welchen die Seele gegen die Unmittelbarkeit ihres substantiellen Inhalts durchzufechten hat, um ihrer selbst vollkommen mächtig und ihrem Begriff entsprechend zu werden“.[21] Die Idee der Freiheit setzt sich nun in einer weiteren Reihe der Erfahrungen durch, die sich zu einem Kampf der Seele mit ihrer Naturbestimmtheit zuspitzen. Dass jeder Mensch dem Begriff, der Möglichkeit nach, frei ist, heißt nicht, dass er es auch in Wirklichkeit ist. Die wirkliche Freiheit muss errungen werden, sie ist größtenteils ein Resultat seiner eigenen Bemühungen.[22] Sobald die Seele aus der Natur erwacht ist und zu fühlen beginnt, muss sie ihr Fürsichsein im Kampf gegen die beschränkten Gefühle behaupten, die versuchen ihre Individualität zu bestimmen und auszumachen. Die Signale zu einem Verhalten kommen dabei entweder aus dem Inneren der Seele, als Folgen von entwicklungspsychologischen Prägungen, oder von anderen Individuen, z.B. von Freunden oder Familienmitgliedern. Ist die Seele noch nicht genug gebildet, dann gewinnen diese Signale die Oberhand und sie wird von ihnen bewusst- und verstandlos geleitet. Als geistig Gesunde wissen wir im Nachhinein, dass wir von Außen geleitet wurden.[23] Dagegen entsteht im Zustand der Krankheit der Seele, die sich zur extremen Form der Verrücktheit steigern kann, ein derartiger Widerspruch, dass eine fremde oder fremd scheinende innere Bestimmung die Macht übernimmt, weil sie nicht unter die Gesamtheit der sonst klaren Erlebnisse bewusst subsumiert wird.[24] Je stärker sich die Seele also in der Reihe der Erfahrungen fortbildet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gegen natürliche Bestimmungen durchsetzt und ihre Gesundheit erhält. Das am nächsten gelegene Mittel zur Unabhängigkeit vom Naturleben ist aber die Gewohnheit. Der Leib wird entweder durch die unmittelbaren äußerlichen Umstände oder gemäß den bewussten Wünschen der Seele, durch dauernde Übungen, ausgebildet. Der Widerspruch zwischen der Natur und der Seele nimmt hiermit die Form des Machtkampfes der Seele mit dem Leib an. Erst wenn die Seele sich des Leibes durch Gewohnheiten als ihres eigenen Werkzeugs und Eigentums bemächtigt, ihn dazu geschickt macht, ihre Zwecke und Vorstellungen erfolgreich in die Tat umzusetzen, erreicht sie die innere Harmonie, Stabilität und Freiheit, die den Stufen davor gefehlt haben.[25] Weil die Seele aber der Idee des an sich freien Geistes noch nicht genügt, bildet sie sich weiter fort, indem sie durch die Erfahrung der Gewohnheit feststellt, dass die Materie doch keine Wahrheit für sie hat und erwacht zum Bewusstsein, zum Ich, dem Gegenstand der Phänomenologie.[26]

     Dieser Überblick über die Anthropologie zeigt, dass der Verlauf der Entwicklung der Freiheit notwendigerweise die Herrschaft der Seele über den Leib zum Ergebnis hat. Ohne den „Sieg der Seele“[27] und ihre relative, nicht etwa absolute oder den Zusammenhang negierende Herrschaft über den Leib kann es nicht zu weiteren Stufen des Geistes kommen, da ein Misserfolg zu ständigen Rückfällen und zur Befangenheit in den Naturbestimmungen führte. Der menschliche Geist könnte weder die Welt- und Selbsterkenntnis im vollen Umfang der potentiellen Möglichkeiten realisieren noch eine freie Gemeinschaft der Vernunftwesen bilden, weil er zur Vernunft gar nicht käme. Auf der Stufe des nicht überwundenen natürlichen Gefühlslebens des Geistes blieben wir, wie Hegel sich ausdrückt, auf der „Stufe seiner Dunkelheit“.[28]

 

III Der Widerspruch und seine Gründe

Für die anthropologische intrapersonale Interpretation wird die Lektüre der §§ 435 und 436 vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses eine besondere Schwierigkeit darstellen. Dort heißt es nämlich im Haupttext: „Dieser, der Knecht, aber […] macht in dieser Entäußerung und der Furcht des Herrn den Anfang der Weisheit, – den Übergang zum allgemeinen Selbstbewusstsein“.[29] Die intrapersonale Interpretation müsste diesen Satz mit eindeutigem Subjekt, Prädikat und Objekt so lesen, dass ausgerechnet der Leib würdig sei, den Übergang zum allgemeinen Selbstbewusstsein zu machen und schließlich sogar die „Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit, der Familie, des Vaterlandes, des Staats, sowie aller Tugenden, der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, des Ruhms“[30] auszumachen, was eher nach einem polemischen Nietzsche und gar nicht nach Hegel klingt.

     Während die Herrschaft der Seele zu einem Durchbruch zum Bewusstsein, zum Unterschied des Ich und der objektiven Welt und damit zu einem neuen Kampf verhilft, ist der Erfolg im phänomenologischen Teil der Geistesphilosophie gerade nicht dem Herrschenden, sondern dem Unterworfenen, dem Knecht verschrieben. Das signalisiert, dass es sich in den Paragraphen zum Selbstbewusstsein um etwas grundsätzlich anderes handelt. Ginge es um ein anthropologisches Seele-Leib-Verhältnis, so wäre es nicht nachvollziehbar, warum der Kampf hier erneut und mit einem anderen, der Hegel’schen Philosophie inadäquaten Ergebnis eintritt.

     Das Problem der anthropologischen intrasubjektiven Interpretation liegt darin, dass weder auf den systematischen Leitfaden der Entfaltungsschritte der Idee noch auf die innere Kohärenz der einzelnen Textabschnitte und auf Hegels Fichte-Rezeption geachtet wird. Stattdessen wird Hegel ein bestimmtes metaphorisches System unterstellt, in das auch weitere Elemente integriert werden müssen, um es zu retten. Auf dieses ist man genau dann angewiesen, wenn das tiefe intersubjektive Verhältnis im Verlauf der gesamten Geistesphilosophie nicht durchschaut wird. Der Andere spielt schon auf jeder Stufe der Anthropologie die Funktion der Befreiung von der einseitigen Subjektivität: z.B. als anderes Geschlecht oder durch Signale zum Verhalten. Was für eine Lücke wäre es in Hegels Philosophie, wenn der Bezug zu Anderen beim Selbstbewusstsein ausbliebe? Könnte allein durch ein intrasubjektives Leib-Seele-Verhältnis eine Befreiung von der Subjektivität stattfinden und der objektive Geist zutage treten? Es muss der Andere hinzukommen, es muss sich ein Kampf zweier Subjekte auf Leben und Tod abspielen und es muss auf das Klarste die Struktur des Miteinanderseins offenbar werden. Zwar hat nicht jeder diesen Kampf zu führen: „Eine solche Behauptung wäre ebenso unsinnig wie etwa die Annahme: weil in der Rechtsphilosophie das Verbrechen als eine notwendige Erscheinung des menschlichen Willens betrachtet wird, deshalb solle das Begehen von Verbrechen zu einer unvermeidlichen Notwendigkeit für jeden Einzelnen gemacht werden“.[31] Aber der Philosoph, das „Wir“, hat zu wissen, dass diese raue Realität phänomenologisch zur Entwicklung von überlegenen Stufen des Geistes gehören musste, selbstverständlich ohne sie legitimieren zu wollen. Einer metaphorischen Verharmlosung des Kampfes und der Rede vom Tod bedarf es nicht, wenn man Hegels Hinweise und Methode ernst nimmt.

 

Michael Lewin

michael.lewin.di@gmail.com

 

[1]    Vgl. G.W.F. Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, Frankfurt am Main 1986, S. 20fff. und ders., Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin, Frankfurt am Main 1986, S. 406fff.

[2]    Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Frankfurt am Main 1986, S. 314, 420ff.

[3]    Diese Kritik – sowohl an der Kantischen als auch der Fichteschen Philosophie ist unter der prägnanten Bezeichnung „schlechte Unendlichkeit“ in die Philosophiegeschichte eingegangen – vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Frankfurt am Main 1986, 198ff. Vgl. auch die folgenden Stellen: Hegel, Differenz, a.a.O. (Anm. 1), S. 68f.; ders., Geschichte der Philosophie III, a.a.O. (Anm. 2), S. 314, 387-412 und ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, Frankfurt am Main 1986, S. 202f. Die Frage, ob Hegels Einwand Fichte trifft, vor allem vor dem Hintergrund seiner späteren Wissenschaftslehren, die er leider nur von der populären Seite – vgl. Hegel, Geschichte der Philosophie III, a.a.O. (Anm. 3), S. 387, 413f. – gekannt hat, blende ich an dieser Stelle aus.

[4]    Vgl. Hegel, Differenz, a.a.O. (Anm. 1), S. 81.

[5]    Vgl. ebd., S. 87.

[6]    Vgl. ebd., S. 88f.

[7]    Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988, S. 143f.

[8]    Hegel, Differenz, a.a.O. (Anm. 1), S. 81.

[9]    Ebd., S. 88.

[10]  Vgl. G.A. Kelly, „Notes on Hegel’s ‘Lordship and Bondage’“, in: The Review of Metaphysics 19 (4) (1966), S. 780– 802.

[11]  Gute Beispiele für eine solche Auslegung findet man z.B. bei Werner Marx, Das Selbstbewusstsein in Hegels „Phanomenologie des Geistes“, Frankfurt am Main 1986 und Charles Taylor, Hegel, Frankfurt am Main 1983, S. 203–219.

[12]  So z.B. Pirmin Stekeler-Weithofer, „’Die Wahrheit des Bewusstseins ist das Selbstbewusstsein’ – Hegels Weg zur konkreten Selbstbestimmung in der Enzyklopadie“, in: Res Cogitans – Electronic Journal of Philosophy 4 (1) (2007), S. 58–86.

[13]  Vgl. John McDowell, „The Apperceptive I and the Empirical Self: Towards a Heterodox Reading of ‘Lordship and Bondage’ in Hegel’s Phenomenology“, in: Hegel. New Directions, hg. v. K. Deligiorgi, Chesham 2006, S. 33–48.

[14]  Stekeler-Weithofer, „Wer ist der Herr, wer ist der Knecht? Der Kampf zwischen Denken und Handeln als Grundform jedes Bewusstseins“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes, hg. v. K. Vieweg und W. Welsch, Frankfurt am Main 2008, S. 205–237.

[15]  Vgl. ebd, S. 225ff. Es geht im Folgenden nicht explizit um die Position von Pirmin Stekeler-Weithofer, sondern um die Hinterfragung dieser Interpretationsmöglichkeit an sich.

[16]  Vgl. Hegel, Enzyklopädie III, a.a.O. (Anm. 3), S. 59f.

[17]  Vgl. ebd., S. 376f. und Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, Frankfurt am Main 1986, S. 535fff.

[18]  Vgl. Hegel, Enzyklopädie III, a.a.O. (Anm. 3), S. 20f.

[19]  Vgl. ebd., S. 25ff.

[20]  Vgl. ebd., S. 117ff.

[21]  Ebd., S. 121.

[22]  Vgl. ebd., S. 26f.

[23]  Vgl. ebd., S. 134.

[24]  Vgl. ebd., S. 161f.

[25]  Vgl. ebd., S. 187ff.

[26]  Vgl. ebd., S. 197f.

[27]  Ebd., S. 41.

[28]  Ebd., S. 124.

[29]  Ebd., S. 224. In der Phänomenologie des Geistes von 1807 ist diese Erkenntnis in mehreren Sätzen formuliert worden – vgl. Hegel, Phänomenologie, a.a.O. (Anm. 7), S. 136f.

[30]  Hegel, Enzyklopädie III, a.a.O. (Anm. 3), S. 226.

[31]  Ebd., S. 163.