Lewin, M. 2018. Ist die theoretische Vernunft selbst eine Idee? Fichtes Umgang mit Kantischen Ideen um 1810, Fichte-Studien 46: 288-307. https://doi.org/10.1163/9789004375680_017.
Abstract: The object of this study is to examine the way in which the later Fichte handles Kantian ideas. In the first part Kant’s theory of principles will be investigated in order to find out how many types of ideas he uses. In the second part the ideas will be assigned to the basic moments of Fichte’s Outlines 1810. Not only the transcendental concepts and postulates play a key role in the Science of Knowledge, but also the methodological ideas of a theoretical and practical reason. While the latter are mentioned by Kant only in passing, in Fichte’s later works they constitute a pivotal part in the reflections about the faculty of reason.
Keywords: reason, pure knowledge, pure will, ideas, postulates
Abstrakt: Es soll untersucht werden, wie der späte Fichte mit den Kantischen Ideen umgeht. Der erste Teil widmet sich der Kantischen Prinzipienlehre und prüft, wie viele Arten sich überhaupt unterscheiden lassen. Im zweiten Teil folgt die Zuordnung der einzelnen Ideen zu den Grundmomenten in Fichtes Umriss von 1810. Dort werden sich nicht nur die transzendentalen Vernunftbegriffe und Postulate wiederfinden, sondern auch die methodologischen Ideen einer theoretischen und praktischen Vernunft. Während die letzteren bei Kant eher am Rande erwähnt werden, sind sie bei Fichte ein expliziter Bestandteil der Reflexion über das Vernunftvermögen.
Schlüsselbegriffe: Vernunft, reines Wissen, reiner Wille, Ideen, Postulate
1 Vorwort
Kants transzendentalphilosophisches Projekt beruht auf der Annahme, dass wir rein, d.h. unabhängig von dem Einfluss der Sinnlichkeit, denken und wollen können. In anderen Worten: Die Idee, dass wir Vernunft haben, dass wir durch Handlungen des reinen Denkens Begriffe bilden können sowie durch autonome Selbstbestimmung des Willens moralische Entscheidungen treffen, ist eine unumgängliche Voraussetzung, durch die wir in den hermeneutischen Zirkel der Kantischen Kritiken geraten. Diese Annahme ist nun aber alles andere als selbstverständlich. Nicht jeder Mensch im Alltag kommt auf den Gedanken über ein von sinnlichen Eindrücken, Gefühlen, Emotionen etc. freies Vernunftvermögen zu verfügen und nicht jeder Philosoph vor und nach Kant gibt dies zu. Die Idee einer reinen Vernunft im Kantischen Sinne, die das traditionelle Verständnis derselben als bloße Rationalität oder Fähigkeit zur Sprache übersteigt, bedarf erstens einer Auffindung und zweitens auch einer Rechtfertigung.
Auch wenn dieser Umstand im Nachdenken über die kritische Philosophie und in Rücksicht auf die methodologischen Bemerkungen Kants einleuchtet,[1] so ist es doch verwunderlich, dass Kant fast nie von einer Idee der Vernunft, im Sinne eines genetivus obiectivus, spricht, und sie – vielleicht auch aus gutem Grund – weder zu den transzendentalen Ideen noch zu den Postulaten zählt. Im Folgenden will ich zeigen, wie J.G. Fichte im Anschluss an die Impulse, die Kant mit seiner Prinzipienlehre gegeben hat, die Vernunft als Idee unter anderen Ideen begreift. Und zwar tut das der späte Fichte, der entgegen den Ansichten einiger Interpreten sich zuletzt nicht in einer vor-kritischen Phase der Metaphysik befindet, sondern nun vielleicht sogar näher an Kant ist, als mit seinen frühen Wissenschaftslehren. Zu diesem Zweck werde ich im ersten Schritt das wichtigste aus der Ideenlehre Kants zusammenfassen, um im zweiten die Ideen, die Fichte 1810 in der Schrift „Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse dargestellt“, aufstellt, zu den Kantischen ins Verhältnis zu setzen und schließlich auch gewisse Folgerungen aus diesem Experiment zu ziehen. Dabei versuche ich darüber aufzuklären, dass bei Fichte neben der bei Kant noch vorkommenden Umschreibung der reinen praktischen Vernunft mit der Idee des reinen Willens auch eine Umschreibung der theoretischen Vernunft mit der Idee des reinen Wissens (bei Kant: reines Denken) Platz findet. Anders ausgedrückt – was bei Kant bloß andeutungsweise zum Ausdruck kommt, wird bei Fichte zum zentralen Bestandteil der Wissenschaftslehre: Auch die theoretische Vernunft ist eine Idee, bzw. die ganze Vernunft ist eine Idee. Aber eine Idee welcher Art?
2 Kants Ideenlehre
2.1 Anknüpfung an den platonischen Ideenbegriff
Der Franzose und Engländer […] verbindet mit dem Worte idée, oder idea, einen sehr alltäglichen, aber doch ganz bestimmten und deutlichen Sinn. Hingegen dem Deutschen, wann man ihm von Ideen redet (zumal wenn man [wie Hegel] Uedähen ausspricht), fängt an, der Kopf zu schwindeln, alle Besonnenheit verlässt ihn, ihm wird, als solle er mit dem Luftballon aufsteigen.[2]
Diese Aussage Schopenhauers richtet sich sowohl gegen Kant als auch im größeren Maße gegen Jacobi, Fries, Fichte, Schelling und Hegel.[3] Kant wirft er vor, den traditionellen Begriff der Vernunft verwirrt und verfälscht zu haben. Was früher in der Philosophie und Alltag Vernunft, also logos oder ratio hieß, ein Vermögen zu denken, zu überlegen, zu schließen, zu reflektieren und zu sprechen, welches die Menschen von Tieren unterscheidet, werde nun seit Kant zum Verstand degradiert. Im Gegenzug werde die Vernunft mit einem Vermögen beschenkt, das Unbedingte, Übersinnliche bzw. die Ideen aufzusuchen, also mit einem im Vorhinein auf die Metaphysik ausgerichteten Vermögen.[4] Während dieses Vernunftvermögen bei Kant sich noch gerade so in kritischen Grenzen halte, werde es bei den Nachkantianern zu einem solchen, welches materieller übersinnlicher Erkenntnisse fähig sei. Ich werde im Folgenden versuchen entgegen dieser Schopenhauerschen Ansicht (wie auch der einiger Fichte-Interpreten) zu argumentieren und zu zeigen, dass zumindest Fichte vom Vernunftvermögen, Ideen zu bilden, einen genuin kritischen Gebrauch macht.
Kant entlehnt den Begriff „Idee“ auf direktem Wege der platonischen Philosophie.[5] Platons Ideen werden zumeist als Urbilder verstanden, geistig erfassbare metaphysische Entitäten, denen nichts Adäquates in der Erfahrung kongruiere. Einen Zugriff zu ihnen erhalten wir gemäß der Anamnesis-Lehre durch den Prozess der Wiedererinnerung der Seele an das, was sie davor im nicht verkörperten Zustande ohne Verzerrungen erblickt hatte.[6] Kant hebt insbesondere zwei Verdienste der platonischen Prinzipienlehre hervor. Erstens habe Platon der rein physischen bzw. materialistischen Weltauffassung ein nach Ideen oder Zwecken geordnetes Weltganzes gegenübergestellt. Die einzelnen Ideen lassen sich nämlich hierarchisieren, wobei die unteren jeweils in einem Teilhabeverhältnis zu den oberen stehen. Zweitens habe er gezeigt, wie die Erfahrbarkeit des Guten, Rechtmäßigen und Sittlichen möglich sei. Die reine Sinnlichkeit liefere sie nämlich nicht, sie sei erst auf der Ebene der Ideen tatsächlich möglich.
Natürlich denkt Kant aber nicht daran, die platonische Ideenlehre oder einen Teil selbst zu übernehmen, sondern nur die Richtung, in die der Gebrauch des Ideenbegriffs geht. Selbst hierbei sind aber wichtige Restriktionen nötig, um die ursprüngliche Bedeutung für das kritische Projekt fruchtbar zu machen. Die erste und wohl die bedeutendste ist die, den epistemischen Status der Ideen genau festzusetzen. Die Ideen sind keine metaphysischen Entitäten, sondern Produkte des menschlichen Vorstellungsvermögens, wie es auch z.B. Anschauungen und Begriffe sind. Besonders klar sieht man das im Fall von transzendentalen Vernunftideen: Wenn wir uns die Stufenleiter der Vorstellungsarten anschauen, die uns Kant am Anfang der transzendentalen Dialektik gibt, so stellen wir fest, dass sie die abstraktesten Vorstellungen darstellen, derer wir fähig sind.[7] Sie sind aus den reinen Verstandesbegriffen, den Notionen, gebildet, und übersteigen entsprechend ihren Abstraktheitsgrad.[8] Da sie eben nichts als Vorstellungen sind, ist von ihnen nicht in hoher Sprache zu reden, sie sind nicht zu hypostasieren oder auf irgendwelche Weise mystisch zu deduzieren. Die zweite wichtige Restriktion ist die Festsetzung des Anwendungsbereichs des Ideenbegriffs. Aufgrund der gegebenen Hierarchie der Vorstellungsarten kann z.B. die empirische Vorstellung eines Tisches nicht „Idee“ genannt werden, während ebendiese nach Platon das Urbild dieses Artefakts wachrufen würde. Bei Kant ist dieser Begriff jedoch nur für denjenigen Bereich von Vorstellungsobjekten reserviert, von denen wir keine Sinnesdaten haben oder haben können.[9] Nach diesen Restriktionen sehen wir, wie wenig eigentlich vom platonischen Ideenbegriff bei Kant übrigbleibt – er verweist zwar auf die übersinnliche Sphäre, aber nicht im mystischen, sondern im ganz nüchternen Sinne: Wir sind abstrakter Vorstellungen fähig, das bedeutet aber solcher, die unserer Herkunft sind, zu denen uns unsere Vernunft naturgemäß verleitet und denen nichts in der Erfahrung kongruiert.
Man kann bei Kant vier Arten von Ideen unterscheiden: (1) einfache Ideen, (2) transzendentale Vernunftbegriffe, (3) Postulate und (4) methodologische Ideen. Ich werde sie natürlich weder ausführlich behandeln noch auf die zahlreichen Forschungsbeiträge zur Kantischen Prinzipienlehre eingehen können, sondern mich nur auf das Nötigste konzentrieren, um sie später zu den Fichteschen ins Verhältnis zu setzen.
2.2 Einfache Ideen
Leider gibt uns Kant keine ausführliche Bestimmung des Ideenbegriffs, die für alle vier Arten zugleich gelten würde. Während er sich in der Kritik der reinen Vernunft um eine klare Ableitung der transzendentalen Ideen aus den Relationskategorien und in der Kritik der praktischen Vernunft um die Darstellung der Postulate bemüht, bleibt der Status der anderen bei Kant vorkommenden Ideen wenig beleuchtet.[10] Zu dem Bereich einfacher Ideen gehören einzelne theoretische, praktische und ästhetische Ideen, wie z.B. vom reinen Wasser, vom glückseligen Leben und vom Schönen.[11] Sie sind offensichtlich keine willkürlich a posteriori gedichteten Begriffe, wie z.B. vom Minotaurus oder von der Atlantis, sondern auf eine natürliche Weise a priori geschlossen.[12] Man kommt zu ihnen auch nicht dadurch, dass man jedem möglichen sinnlich oder geistig artikulierten Gegenstand schlechtweg den Zusatz „an sich“ gibt,[13] sondern durch die Abstraktion von der Sinnlichkeit in Richtung des Maximums an Vollkommenheit: „Eine Idee ist nichts anderes, als der Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht vorfindet.“[14] Reines Wasser oder reine Erde sind z.B. solche Begriffe, die eine Vollkommenheit ausdrücken, die dem sinnlich Wahrnehmbaren nicht zukommt. Dieses Merkmal kann man nicht nur im Hinblick auf solche einzelnen Ideen, sondern auch auf alle Arten der bei Kant vorkommenden Ideen beziehen.
2.3 Transzendentale Vernunftbegriffe
Von den einfachen Ideen sind die transzendentalen Vernunftbegriffe deutlich unterschieden, die aus drei Klassen bestehen, nämlich (1) aus der Klasse derjenigen Vernunftbegriffe, die zum absoluten Subjekt gehören, (2) aus der Klasse der im Zusammenhang mit der Welterklärung auftretenden kosmologischen Ideen und (3) aus der Klasse der zur Vorstellung des höchsten Wesens bzw. Ideals gehörenden Ideen.[15] Diese haben nämlich eine systematische Funktion auf der theoretischen Seite, indem sie darauf aufbauen und dasjenige zur höheren Einheit führen, was der Verstand sich erarbeitet, nämlich Begriffe und Urteile. So hat der Verstand z.B. den Begriff einer Ursache. Ausgehend von diesem Begriff kann er einzelne die Erfahrung betreffenden Urteile bilden, wie: „Es regnet, da der Himmel stark bewölkt ist“ und „der Himmel ist stark bewölkt, weil viel Wasserdampf aufgestiegen ist“. Die allgemeine Regel, nach der der Verstand dabei urteilt, kann wie folgt formuliert werden: „Wenn etwas geschieht, dann zufolge einer Ursache“. Nun versucht die Vernunft, und darin liegt ihre natürliche Funktion, den Begriff und die Urteile des Verstandes auf die höchstmögliche Einheit zu bringen. Nach unserem Beispiel nimmt sie also den Satz des Verstandes „Wenn etwas geschieht, dann zufolge einer Ursache“ als die erste Prämisse ihres Syllogismus. Alsdann subsumiert sie unter diese ein bestimmtes Urteil, wie z.B. „Jede Wirkung in der Natur lässt auf irgendeinen Grund schließen, durch den sie zustande gekommen ist, sonst gäbe es ja keine Wirkung“ und zieht daraus die Konklusion, dass in der Natur nichts als totale Gesetzmäßigkeit herrsche.
Wenn wir nun den Obersatz mit der Konklusion in diesem Beispiel vergleichen, dann erkennen wir ganz klar, worin der Unterschied zwischen dem Verstand und der Vernunft liegt. Die Verstandesregel veranlasst uns dazu, nach möglichen Gründen zu einem gegebenen Sachverhalt zu suchen. Wenn wir nach diesen Gründen suchen, dann kommen wir aber höchstens zu einem infiniten Regress. Die Vernunft dagegen bricht diesen Regress ab und setzt die Voraussetzung, dass es totale Gesetzmäßigkeit gebe und gelangt dadurch zu einer Lösung, zu der der Verstand niemals gelangen könnte, da er immer mit dem konkreten oder möglichen Anschauungsmaterial arbeitet. Genauso verhält es sich mit den übrigen transzendentalen Vernunftbegriffen, die Vernunft versucht stets gemäß ihres logischen bzw. syllogistischen Gebrauchs die Verstandeserkenntnis auf eine letzte mögliche Einheit zu bringen. Dabei setzt sie aber unvermerkt ihren realen Gebrauch ein, indem sie in den Konklusionen solche Begriffe erzeugt, wie die „totale Gesetzmäßigkeit in der Natur“, wie in unserem Beispiel, oder wie die „Grenze eines Weltganzen“, „absolutes Subjekt“ und „Einfachheit“ oder „Substantialität“ dieses Subjektes und „Ideal“.
Die Einführung dieses realen Vernunftvermögens, transzendentale Ideen zu schöpfen, welches das Vermögen zu schließen komplementiert, ist genau derjenige Punkt, an dem Schopenhauers Kritik einsetzen kann. Kant habe es zwar einer gründlichen Kritik unterzogen und den Ideen eine erkenntniskonstitutive Funktion abgesprochen, aber doch mit seiner Rede vom realen Vermögen Anlass zu Verdrehungen gegeben, was ich eben im Fall von Fichte bestreiten will. Von Bedeutung dürfte an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang die Anmerkung sein, dass das reale Vernunftvermögen, Ideen zu erzeugen, nicht zugleich über den epistemischen Status entscheidet, wie diese Ideen artikuliert werden. Es hängt vielmehr davon ab, welches Bewusstsein wir mit einer Idee als geschlossenem Vernunftbegriff verbinden. Es ist vollkommen legitim eine Idee zu bilden, solange wir uns dessen bewusst sind, dass es eine bloße Vorstellung ist. Besonders klar und eindeutig zeigt es Kant ganz zum Schluss des Paralogismuskapitels der A-Ausgabe.[16] Dass wir eine Vorstellung vom Ich oder absolutem Subjekt als einer formalen Bedingung oder logischen Einheit eines jeden Gedankens haben, dass wir dieses Ich sogar attributiv mit vier reinen Kategorien bestimmen können, nämlich denen der Einheit der Quantität nach, Realität der Qualität nach, Substanz der Relation nach und Dasein der Modalität nach, ist gar nicht der Gegenstand der Kritik der reinen Vernunft.[17] Diese Bestimmung ist rein logisch, d.h. analytisch. In der Idee des absoluten Subjekts liegt eben z.B. die Einheit und nicht etwa die Vielheit. Zu Problemen der klassischen Metaphysik kommt es eigentlich nur dann, wenn ein transzendentaler Vernunftbegriff für ein seiendes und erkennbares Objekt gehalten wird.[18]
2.4 Postulate der praktischen Vernunft
Die dritte Art von Ideen, die erwähnten Postulate, nämlich Unsterblichkeit der Seele, Freiheit und Gott, bilden den Abschluss der Untersuchung der praktischen Vernunft. Die theoretische Vernunft bleibt bei ihrem Verfahren, Ideen zu schöpfen, letztendlich unbefriedigt. Die Vernunftbegriffe, wie etwa von einem gegebenen und in Grenzen eingeschlossenen Weltganzen, bleiben für sie ein unauflösbares Problem. Denn sie hat z.B. keine konkrete Anschauung der ganzen Welt, die ihr die Wahrheit ihrer Idee bestätigen könnte.[19] Etwas anders sieht es bei den Postulaten aus. Kant meint, dass „die Idee der praktischen Vernunft jederzeit wirklich, ob zwar nur zum Teil, in concreto gegeben werden [könne], ja sie ist die unentbehrliche Bedingung jedes praktischen Gebrauchs der Vernunft.“[20] Das praktische Vernunftvermögen erweitert das theoretische dadurch, dass es die Ideen nicht auf problematische Weise betrachtet, sondern ihnen assertorisch eine objektive Realität verleiht.[21] In anderen Worten: Sie sind nun keine bloßen Vorstellungen mehr, sondern Bestimmungsgründe des moralischen Handelns. Aber im welchen Sinne sind sie das? Denken wir uns z.B. eine praktische Maxime wie „du sollst den Armen helfen“, die nicht durch subjektive Gründe, wie etwa mein Ansehen in der Öffentlichkeit, sondern allein durch den kategorischen Imperativ bestimmt wird, dann machen wir unvermerkt Gebrauch von den drei Postulaten. Denn erstens benötigen wir dafür ein Vermögen, unabhängig von der Sinnlichkeit uns selbst ein Gesetz geben zu können, nämlich Freiheit des Willens. Zweitens müssen wir uns einen Zweck denken, warum wir überhaupt solche Maximen, wie „den Bedürftigen zu helfen“, bilden, und von unseren Vorteilen dabei absehen. Dieser ist das praktische Objekt des höchsten Guts, nämlich Sittlichkeit selbst und ihre Verbindung mit der Glückseligkeit.[22] Das höchste Gut als Idee oder Zweck ist für Kant nicht noch mit einem zusätzlichen Gebot verbunden, dass wir es verwirklichen sollen, sondern beruht auf einem Vernunftglauben, der auf natürliche Weise aus der Anwendung des Sittengesetzes folgt.[23] Wenn wir von der Sinnlichkeit absehen und ein Gesetz nur durch unsere praktische Vernunft bestimmen, dann tun wir es nicht etwa ohne Sinn und um nichts, sondern um des höchsten Guts willen. In der Hoffnung es irgendwann vollkommen zu erreichen, kommen wir auf das Postulat der Unsterblichkeit der Seele sowie auf die Annahme eines höchsten Wesens, das die moralische Weltordnung und ihre Folgen garantiert.
Unter den genannten drei praktischen Ideen hat die der Freiheit scheinbar eine besondere Funktion und Bedeutung. Laut der Kritik der Urteilskraft ist sie die einzige von allen Ideen, die auf einer Tatsache beruht.[24] Laut der Deduktion der Grundsätze in der Kritik der praktischen Vernunft beweist das Faktum der autonomen Gesetzgebung, dass die reine Vernunft praktisch sein kann, d.h. dass Freiheit möglich ist.[25] Aber schon in der Kritik der reinen Vernunft heißt es, dass wir uns die praktische Freiheit durch Erfahrung unserer Kausalität gewiss machen.[26] Die Freiheitsidee wird daher schon dort zum Inbegriff der praktischen Vernunft erhoben: „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist.“[27] Anders ausgedrückt: Gäbe es keine Freiheit, dann gäbe es auch keine praktische Vernunft. Die Freiheit bedeutet aber im praktischen Teil der Kantischen Philosophie im negativen Sinne Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit und im positiven eigene Gesetzgebung der praktischen Vernunft, d.h. die Autonomie des Willens.[28] Die Untersuchung der Idee, dass die praktische Vernunft a priori gesetzgebend sein kann – Kant spricht explizit von einer Idee der praktischen Vernunft im Gebrauch des genitivus obiectivus z.B. in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – ist also gleichbedeutend mit der Untersuchung der Idee eines reinen Willens, der für nichts anderes als die sittliche Freiheit steht.[29]
Die Idee des reinen Willens bzw. der Freiheit enthält den Begriff der Kausalität.[30] Wie bereits erwähnt, hält Kant eine rein analytische Anwendung der Kategorien auf die Vernunftbegriffe für legitim, soweit sich daraus keine synthetischen Erkenntnisse und damit Hypostasen entwickeln. In praktischer Absicht hält er diese Anwendung sogar für geboten, denn dadurch werde das Übersinnliche bestimmt gedacht.[31] Legt man z.B. der Idee eines höchsten Wesens die dynamische Kategorie der Notwendigkeit bei, so bedeutet das nicht mehr als die notwendige Bedingung aller Bedingungen, die zum Erreichen des höchsten Guts führen.[32] Die Anwendung ist daher sehr auf das Sittengesetz restringiert und führt keine Erkenntnisse mit sich, daher auch nicht etwa eine Schau von übersinnlichen Gegenständen. Das erwähne ich an dieser Stelle wieder in Bezug zum Einwand Schopenhauers. Die Artikulation der Ideen im reinen Vernunftvermögen bedeutet eben nicht zugleich eine metaphysische materielle Erkenntnis.
2.5 Methodologische Ideen
Mit diesen drei Arten ist jedoch Kants Ideenbegriff noch nicht erschöpft. Den vierten Bereich bilden die zwar wenig auffallenden, in ihrer Funktion aber unentbehrlichen methodologischen Ideen. Ihr Sinn erschließt sich aus der Frage: „Was tue ich eigentlich, wenn ich dieses Werk verfasse bzw. wenn ich in diese Richtung denke?“ Sie dienen der Reflexion über die Theoriebildung, ihre Absicht und ihre Bedeutung: Sie sind Voraussetzungen, auf denen die Ausarbeitung beruht. Die methodologischen Ideen sind diejenigen von dem Ganzen einer Wissenschaft. Kant sagt dazu in der Jäsche-Logik:
In allen Wissenschaften, vornehmlich denen der Vernunft, ist die Idee der Wissenschaft der allgemeine Abriß oder Umriß derselben, also der Umfang aller Kenntnisse, die zu ihr gehören. Eine solche Idee des Ganzen – das Erste, worauf man bei einer Wissenschaft zu sehen und was man zu suchen hat, ist architektonisch, wie z.B. die Idee der Rechtswissenschaft.[33]
Diese Ideen vom Ganzen einer Wissenschaft kann man sich wie vorläufige Entwürfe vorstellen, die nicht eine bloße Akkumulation von Fakten sind, sondern einen Zweck enthalten, nach dem sich die genaue Ausarbeitung richten soll. So spricht Kant z.B. expressis verbis von der Idee einer Weltgeschichte, die sich bei der Darstellung nach der Naturanlage des Menschen zur Verwirklichung der Vernunft richten soll und nicht bloß nach historischen Begebenheiten.[34] Und auch z.B. von der Idee von einer transzendentalen Logik als Wissenschaft der reinen Verstandes- und Vernunfterkenntnis, die mit der vorläufigen Erwartung verbunden ist, dass es Begriffe als Handlungen des reinen Denkens geben könne, die weder empirischen noch ästhetischen Ursprungs sind.[35] Analog ist auch von der Idee einer Kritik der reinen praktischen Vernunft und von der Idee einer Metaphysik der Sitten die Rede, die sich nicht mit dem reinen Denken, dem Gegenstand der Transzendentalphilosophie, sondern mit der Idee eines reinen Willens auseinandersetzen, wie oben bereits erörtert.
3 Fichtes Umgang mit Kantischen Ideen
3.1 Die Entwicklung der Ideenlehre
Vor der Zuordnung der oben erörterten Kantischen Ideen zu den Fichteschen im Jahr 1810 lohnt es sich kurz auf die Entwicklung seiner Prinzipientheorie einzugehen. Fichtes Projekt der Wissenschaftslehre beginnt mit der Absicht, seine prima philosophia aus nur einem Prinzip abzuleiten. Doch schon am Anfang hatten seine Zeitgenossen Schwierigkeit, zu verstehen, was es eigentlich sei.[36] Besonders erwähnenswert sind Friedrich Karl Forbergs skeptischen, aber zum Teil auch wohlgesinnten Briefe über die neueste Philosophie im Philosophischen Journal.[37] Forberg versteht Fichtes absolutes Ich als etwas Drittes, in der Mitte zwischen dem Bereich des Etwas, nämlich der Gegenstände, und ihm kontradiktorisch entgegengesetzen Bereich des Nichts Liegendes.[38] Dieses kann nun entweder die Kantische Idee, gebildet durch einen Paralogismusschluss, oder eine intellektuelle Anschauung sein.[39] Ist das absolute Ich eine Idee, dann könne man Fichte hinsichtlich des praktischen Interesses der Vernunft folgen, ein solches Vermögen der Kausalität nach Freiheit anzunehmen.[40] Im theoretischen Sinne dagegen leiste sie so gut wie nichts, da sie das Band mit dem konkreten und stets relativen Bereich der Gegenstände zerreiße.[41] Ist dagegen die intellektuelle Anschauung als irgendein Vermögen der Ideenschau das erste Prinzip, so kann Forberg Fichte gar nicht folgen, da er ein solches bei sich selbst gar nicht findet.[42]
Auf diese „sonderbare Verwechselung“ der intellektuellen Anschauung mit der Idee geht Fichte in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre ein.[43] Die Wissenschaftslehre beginnt mit der intellektuellen Anschauung, die sich auf den Vollzug des Sichselbstsetzens, die Tathandlung, bezieht. Sie gehört zu der Darstellungsmethode und bedeutet ein unmittelbares Bewusstsein bzw. eine Aufmerksamkeit, die stattfindet, wenn man in Bezug auf sich nicht mehr als „Ich“ sagt. Das absolute Ich qua Idee hat dagegen keinen methodologisch-phänomenologischen Charakter mehr, sondern den einer Vorstellung, der nichts in der Erfahrung kongruiert. Die Idee des absoluten Ich ist das Resultat eines paralogistischen Schlusses und jeder gebildete Mensch besitzt sie gewissermaßen, wenn er sich als freies Wesen, das eigene Kausalität hat, denkt.[44] Die Tathandlung und die sich darauf richtende intellektuelle Anschauung ist dazu da, diese Idee zu verdeutlichen und ins Bewusstsein zu rufen. Keineswegs bezieht sich aber die intellektuelle Anschauung direkt auf die Idee selbst, als wäre sie so etwas wie ein Vermögen zur Schau materieller Ideen.
Während der frühe Fichte in der Wissenschaftslehre fast nur von einer Idee redet, dem absoluten Ich, welches einerseits dem nicht vergegenständlichten absoluten Subjekt und andererseits der Idee der praktischen Freiheit bei Kant entspricht, finden sich in seinen populären Schriften um diese Zeit auch andere Ideen, etwa von der übersinnlichen Welt, Unsterblichkeit und dem Urwesen.[45] Es liegt die Vermutung nahe, dass Fichte versucht hat, der Idee der Freiheit eine besondere Bedeutung beizulegen und aus ihr die übrigen abzuleiten. So versucht z.B. Yves Radrizzani zu zeigen, dass Fichte um 1800 in der populären Schrift Die Bestimmung des Menschen die Postulate der Unsterblichkeit und Gottes aus dem der praktischen Freiheit ableitet.[46] Spätestens ab der Wissenschaftslehre von 1801/02 scheint er aber die Darstellungsmethode etwas zu ändern und eher von einem Zusammenhang von mehreren Prinzipien auszugehen, die sich wechselseitig voraussetzen und erläutern.[47] Im Ergebnis soll eine systematische organische Einheit vor einem reinen Vernunftblick, d.h. ohne Einmischung der Sinnlichkeit, entstehen. Anders und in der Sprache der Wissenschaftslehren um 1804 ausgedrückt: Die faktisch gegebenen Bestandteile des Wissens sollen durcheinander genetisch erklärt werden.[48] Als Eckpunkte, zwischen denen die Linien hin und her gezogen werden, fungieren dabei verschiedene Arten von Ideen. Besonders deutlich wird es im allgemeinen Umriss der Wissenschaftslehre von 1810, der eine Übersicht der Lehre in 14 Paragraphen gibt.[49] Der große Gesprächspartner ist dabei für Fichte nicht etwa Platon, wie einige Fichte-Forscher behaupten, und dadurch, bewusst oder unbewusst, für Einwände, wie den Schopenhauerschen, Arbeit leisten, sondern Kant.[50]
3.1 Ideen des reinen Wissens und des Ideals
Der § 1 zeigt schon deutlich, dass die Darstellung der Wissenschaftslehre mit zwei Prinzipien beginnt, dem reinen Wissen und Gott, bzw. dem absoluten Sein. Beide sind nichts Anderes als zwei Vernunfteinheiten, wobei die letzte viel höher ist und daher der ersten als Ideal dient. Zur höchsten absoluten Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt kommen wir laut Kant durch den Grundsatz der durchgängigen Bestimmung.[51] Unser Verstand funktioniert diskursiv, d.h. wir erkennen mögliche Prädikate der Dinge durch den Ausschluss anderer. Da die Vernunft nun die Verstandeserkenntnis auf die höchste Einheit treibt, führt bei ihrem Gebrauch jeder Versuch, irgendeinen einzelnen Gegenstand, z.B. den Stuhl im Raum, vollständig zu bestimmen, auf die Idee eines Wesens, das alle Bestimmtheit positiv in sich enthält. Denn wir sind zufolge dieser Überforderung des Verstandes dazu bewegt, eine Voraussetzung zu bilden, dass es etwas gibt, was alle Prädikate in sich einschließt, also auch diejenigen, die einem Stuhl nicht zukommen. Jedes konkrete begrenzte Wissen von einem Gegenstand befindet sich also sehr tief unter dem Ideal und verhält sich zu ihm als ein unvollkommenes Abbild zu einem seine Realität um unendlich vielfaches übersteigenden Urbild.[52]
Fichte vertritt nun seit der Wissenschaftslehre 1801/02 die These, dass auch ein reines bzw. absolutes oder transzendentales Wissen, welches sich anders als empirisches Wissen auf bloß gedachte Gegenstände richtet, lediglich ein Abbild des Absoluten sein kann.[53] Dafür gibt es mindestens zwei Gründe. Erstens steht das reine Wissen für Fichte seit der ersten Einführung dieses Terminus für nichts anderes als die theoretische Vernunft im Kantischen Sinne, welche sich nicht auf reale gegebene Objekte richtet.[54] Ihm entgegengesetztes besonderes Wissen dagegen für den Verstand, der stets irgendein Etwas auffasst.[55] Im letzten Paragraphen der Wissenschaftslehre 1801/02 spricht Fichte sogar explizit von Kant und von dem bei ihm vorkommenden Begriff des reinen Denkens, welcher die apriorischen Denkbestimmungen ausdrückt und dem des reinen Wissens entspreche.[56] Die Idee des reinen Wissens bzw. der theoretischen Vernunft ist also nicht dasselbe, wie die Idee des Ideals. Die Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt übersteigt die Einheit der reinen Bestimmungen des Denkens qua Vernunft.
Zweitens ist das reine Wissen ein bloßes Abbild, weil es sich stets in der Relation zu dem einzelnen konkreten und sinnlichen Wissen befindet und aus ihr erst erkennbar wird. Was die reinen Anschauungsformen, reinen Verstandesbegriffe und die Ideen, wenn man sie alle isoliert betrachtet, sind, weiß man nur zufolge der Abstraktion von der Sinnlichkeit und durch die Entgegensetzung zu den empirischen Begriffen deutlich und bestimmt. Dieses Abhängigkeitsverhältnis zeigt an, dass es weniger vollkommen als das ihm zugrundeliegende Ideal sein müsste, welches von, in und durch sich selbst bestimmt sein soll.[57]
3.2 Ideen der Freiheit, des Ich und der wahren Welt
Das absolute Wissen entspricht also dem reinen Denken bzw. der theoretischen Vernunft. Seine Funktion liegt in der Artikulation der Vorstellungen. Diese gibt es sowohl von dem Ideal als auch von den anderen apriorischen Gegenständen. Das reine Wissen befindet sich in der Mitte zwischen zwei Richtungen. Die erste läuft auf die höchste Einheit der Vernunft, das Ideal, hinaus, die zweite auf die Sinnlichkeit, also die Mannigfaltigkeit der Wissensobjekte als Anschauungsmaterial für die reinen Kategorien und Anschauungsformen. Fichte verbindet mit dieser Aufstellung die These, dass wir qua Vernunftwesen auf eine natürliche Weise dazu verpflichtet sind, unseren Blick von der Mannigfaltigkeit auf die höchste Einheit zu wenden. D.h. aber zu erkennen, dass der Grund unseres Wissens nicht in den Gegenständen als Dingen an sich liegt, sondern in unserem Vermögen zu wissen und vorzustellen – dieses führt aber wiederum auf die Idee eines höchsten Wesens, in dem alle Mannigfaltigkeit, als vorgestellte Mannigfaltigkeit, enthalten sein muss.
Diese von Fichte in dem § 6 geäußerte Verpflichtung, eine beliebige Vorstellung X als ein unvollkommenes Abbild des Urbildes anzusehen, ist nicht ohne Weiteres selbstverständlich und auch gar nicht theoretisch einsehbar. Der Grund für diese Forderung liegt im praktischen Interesse.[58] Fichtes Argument dafür ähnelt dem so genannten „ontoethischen Grundsatz“ Kants aus der Grundlegung der Metaphysik der Sitten.[59] Kurz gefasst: Wir sollen die Mannigfaltigkeit auf diese Weise auf das Absolute beziehen, weil wir es können und auch eigentlich wollen, weil wir als freie Vernunftwesen uns als Glieder einer intelligiblen Welt ansehen. Wenn wir uns auf dem Standpunkt der sinnlichen Anschauung befinden, sind wir dazu geneigt, komplett zu vergessen, dass das Objektbewusstsein nicht das Resultat der Dinge an sich, sondern unseres eigenen Vorstellungsvermögens ist. Wir sind nur getrieben, die Dinge aufzufassen. Der Umstand, dass wir uns von diesem einfachen Trieb losreißen können, deutet auf ein machtvolles Vermögen der Vernunft, durch welches es überhaupt möglich wird, der sinnlichen Weltauffassung eine geistige Weltansicht gegenüberzustellen, die auf dem Standpunkt des transzendentalen Idealismus basiert. Dieses ist das Vermögen der praktischen Freiheit. Die Idee der Freiheit gründet sich also wie bei Kant so auch bei Fichte auf einer Erfahrung des Könnens. Wir können uns sowohl als von dem sinnlichen Trieb unabhängig ansehen als auch unsere Vorstellungen als bloße Abbilder des Ideals auffassen, also sind wir frei.[60]
Die im § 1 aufgestellte Idee des reinen Wissens bzw. der theoretischen Vernunft ist also kein bloßer Einfall, sondern ein Resultat der praktischen Freiheit, der Unabhängigkeit vom sinnlichen Trieb, wie es im § 10 klar wird. Während dieser die Bedingung für die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Erkenntnis in der Anschauung ist, ist die praktische Freiheit die Bedingung dafür, dass wir einer sozusagen unschuldigen natürlichen Weltauffassung ein unabhängiges System des Wissens gegenüberstellen können.[61]
Wenn wir dieses Gedankenexperiment in concreto anstellen und uns aus der Zerstreuung bei der sinnlichen Anschauung zurückziehen, dann kommen wir aber nicht zunächst auf die Idee einer Einheit des reinen Wissens und schon gar nicht auf die Idee eines Urwesens. Fichtes Vorschlag in den §§ 11 bis 13 ist: Das erste Sichere und Feste, was wir erreichen, ist unser Selbstbewusstsein, welches uns als ein Prototyp jeder weiteren vorgestellten Einheit fungiert.[62] Wenn wir uns die Idee des absoluten Ichs vergegenwärtigen sowie versuchen zu erkennen, was in ihr liegt, dann kommen wir zu nichts anderem als der analytischen kategorialen Bestimmung, die uns Kant zum Schluss des Paralogismuskapitels der A-Ausgabe gegeben hat.[63] Das Ich ist erstens dem Verhältnis nach sich selbst substituierend. D.h. wir erheben den Anspruch, das Ich als den Träger seines eigenen Seins von der Mannigfaltigkeit isoliert zu betrachten. In der Sprache der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre: „Das Ich ist für das Ich“ (GWL GA I/2, 260). Zweitens ist das Ich der Qualität nach einfach, denn es ist als einfaches bzw. als es selbst real und steht nicht etwa für das Ganze aller Dinge überhaupt. Drittens und der Quantität nach ist das Ich als das eine und dasselbe Subjekt zu betrachten, unabhängig davon, zu welcher Zeit wir es tun. Und viertens haben wir durch die Abwendung des Blicks von den mannigfaltigen Gegenständen im Raum das Ich als das eigentliche Wesen entdeckt, für das die äußeren Dinge bloß Resultate seiner Vorstellungen sind, d.h. den Sitz des eigentlichen wirklichen Daseins der Modalität nach.
Obwohl die Idee des absoluten Ich nicht die höchste Synthesis der Vernunft darstellt, hat sie gewissermaßen sowohl bei Kant als auch bei Fichte einen Prius. Laut dem Abschnitt zum System der transzendentalen Ideen in der Kritik der reinen Vernunft bestehe eine Einheit zwischen den drei transzendentalen Ideen, mithilfe derer die Vernunft Erkenntnisse in ein System bringt.[64] Die analytische Ordnung der Ideen besagt, dass wir durch Selbsterkenntnis zur Welterkenntnis und von ihr aus zur Erkenntnis Gottes gelangen. Das Selbstbewusstsein ist also das Erste, worauf wir kommen, wenn wir uns zufolge der praktischen Freiheit vom sinnlichen Trieb und der bloßen Anschauung der Mannigfaltigkeit losknüpfen. Diese erste Erfahrung der Einheit macht uns weitere Erfahrungen und Ideen möglich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass im § 11 zugleich mit der Einführung des Ichs auch von der Welt die Rede ist. Die Welt ist zwar schon bei der sinnlichen Anschauung da, aber sie ist nicht als solche thematisch, sondern ist bloß ein Aggregat des Anschauungsmaterials. Erst wenn die Idee des Ich explizit gefasst wird und wir uns damit als Glieder der intelligiblen Welt betrachten, wird die Opposition zur sinnlichen Welt deutlich und aus dem bloßen Aggregat wird die kosmologische Idee eines Weltganzen möglich.[65] Schön formuliert es Hegel in der Phänomenologie des Geistes zum Anfang des Vernunftkapitels: „Es ist ihm [also dem Selbstbewusstsein auf dem Standpunkt der Vernunft, Zusatz von ML], indem es sich so erfaßt, als ob die Welt erst jetzt ihm würde; vorher versteht es sie nicht […]“[66] Die Idee des Weltganzen ist also ein Resultat der Auffassung seiner selbst als freies intelligibles Wesen.
3.3 Die Idee des reinen Willens
Fichte ist von der methodologischen Idee ausgegangen, dass wir über eine theoretische Vernunft verfügen, die rein denken kann. Wenn wir es als eine auf sich selbst beruhende Einheit ansehen, dann stellen wir fest, dass wir eine noch höhere Einheit denken können, nämlich die eines Urwesens, das alle Realität in sich fasst. Ihr ist aber eine Mannigfaltigkeit entgegengesetzt, was den Anlass zu überlegen gibt, wie wir die beiden Pole miteinander verknüpfen können. Fichtes Vorschlag ist, die Mannigfaltigkeit auf das Ideal mithilfe eines Urbild-Abbild-Verhältnisses zu beziehen. Das sollen wir tun, weil wir es können, d.h. weil wir vernunftbegabte Wesen sind und uns vom sinnlichen Trieb unabhängig denken können, sollen wir eine geistige Weltansicht entwerfen, die unserer Bestimmung und unserem praktischen Interesse adäquat ist. Wir fassen uns also als Glieder einer intelligiblen Welt, über ein eigenständiges freies Ich verfügend, auf, und setzen uns die Idee eines Weltganzen entgegen.
Bisher war hauptsächlich die Idee der theoretischen Vernunft und ihr Vermögen des Wissens im Zentrum der Aufmerksamkeit, welches u.a. die drei Ideen bilden und ins Verhältnis setzen kann. In den §§ 13 und 14 wird aber das praktische Vernunftvermögen endlich auch an sich thematisch, welches schon von Anfang an eine bedeutende Rolle mitgespielt hat, wie es spätestens jetzt deutlich wird, und dessen Inbegriff nun in Analogie zum reinen Wissen der reine Wille ist. Wir sind mit dem Ausmessen des Umfangs des theoretischen Vermögens an die berühmt-berüchtigte Grenze des Wissens gelangt. Auf die Fragen „Was soll ich tun?“ und „Was darf ich hoffen?“ gibt dieses keine zureichenden Antworten.[67] Wäre die Wissenschaftslehre nur darauf gerichtet, den Bildcharakter des Wissens aufzustellen und zu zeigen, dass das Objektbewusstsein ein Resultat unseres Vorstellungsvermögens ist, hätten die kritischen Vorwürfe, wie der Jacobische Nihilismuseinwand, Erfolg. Spätestens um 1800 zeigt Fichte jedoch explizit, dass das Wissen durch den Glauben komplementiert werden soll:
Der Glaube ist es […], der dem Wissen erst Beifall giebt, und das, was ohne ihn bloße Täuschung seyn könnte, zur Gewißheit, und Ueberzeugung erhebt. Er ist kein Wissen, sondern ein Entschluß des Willens, das Wissen gelten zu lassen. (BdM GA I/6, 257)
Fichtes These läuft darauf hinaus, dass das praktische Interesse am Sittlichen und Guten erstens dem transzendentalen Idealismus an sich und zweitens den transzendentalen Ideen Realität verschaffen werde. Dies ist aber nur dann möglich, wenn wir einen guten, d.h. reinen Willen haben, der unabhängig von der Sinnlichkeit den Entschluss fasst, sie anzuerkennen und zu den Bestimmungsgründen des praktischen Handelns zu erheben. Dass wir die praktische Freiheit durch das Können erfahren können sowie daraus schließen, dass damit eine bestimmte Verpflichtung, ein Sollen, einhergeht, enthält durch die Idee des reinen Willens eine weitere Dimension. Wir können uns ein Gesetz geben, etwas zu sollen, bzw. wir haben die Möglichkeit, uns aktiv am Sollen zu beteiligen. Denn wir könnten das Sollen auch einfach vor unserem geistigen Auge kurz Revue passieren lassen und nicht weiterverfolgen. Dieses Vermögen der freien Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft, eine unserer Freiheit angemessene Gesinnung gelten zu lassen, zu verfolgen und im Leben zu verwirklichen, ist der entscheidende Punkt, ohne den die Wissenschaftslehre nicht funktionieren kann. Wenn wir dieser Bestimmung auch folgen, dann orientieren wir uns am Ideal des höchsten ursprünglichen Guts, welches Fichte ganz kurz im § 14 als göttliches Leben erwähnt.
4 Schlussbetrachtung
Obwohl Fichte also den Terminus „Idee“ in diesem konkreten Text nicht benutzt, handelt es sich nach meiner Interpretationshypothese um methodologische Ideen, transzendentale Vernunftbegriffe und Postulate.[68] Dabei wird die Realität der theoretischen Ideen nicht etwa durch Hypostasen erreicht, sondern durch die reine praktische Vernunft, die ihnen durch ihr Interesse Beifall gibt. So hat z.B. das Ideal bei Fichte nicht etwa eine schöpferische Kraft, sondern eine praktische. Das ist der Punkt, durch den sich die Platonische Lehre vom Ideal von der transzendentalen unterscheidet, wie Kant es in der Kritik der reinen Vernunft expressis verbis ausdrückt.[69] Vorstellungen sind jederzeit lediglich Produkte des menschlichen Geistes. Aus diesem Grund ist auch das Urbild-Abbild-Verhältnis ein nur vorgestelltes. Es wäre eine Anmaßung, dahinter eine reale Schöpfung anzunehmen, wir können so etwas nie erfahren. Das Urbild-Abbild-Verhältnis ist daher nur ein Modell, um die höchste Vernunfteinheit, die als Richtmaß der Vernunft dient, auf die Mannigfaltigkeit zu beziehen, um dadurch „den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen.“[70] Theoretisch könnte man das mithilfe der Bestimmung der Prädikate tun, praktisch mithilfe der Bestimmung der Werte. Die praktische Annahme eines Ideals des höchsten Guts führt zu einer Hierarchisierung der Werte, die z.B. dem sinnlichen Genuss eine weniger bedeutende Stelle einräumt als einem künstlerischen Schaffen, der Umsetzung der einzelnen einfachen Ideen wie des Schönen, Guten etc. Auf diese Hierarchisierung läuft die ganze Zurüstung der Vernunft hinaus, also auch die Rede vom prototypon transzendentale und von den unvollkommenen Abbildern.[71]
Das Experiment des Vergleichs der Kantischen Ideenlehre mit dem Inhalt des allgemeinen Umrisses von 1810 hat also gezeigt, dass der späte Fichte Kantianer ist – und Kant hat die Richtung, in die der Platonische Ideenbegriff geht, nach gewissen Restriktionen aufgenommen – und nicht Platoniker (wenn man vor allem der metaphysisch-mystischen Platon-Interpretation folgt), und dass Schopenhauer Fichte zu Unrecht eine materielle Schau von Ideen vorgeworfen hat. Das sieht man vielleicht gerade erst durch einen solchen kurz gefassten Überblick klar, um den ich mich bemüht habe. Auch lässt er erkennen, dass die reine theoretische und praktische Vernunft selbst eine Idee ist. Es ist methodologisch sinnvoll, ein von der Sinnlichkeit unabhängiges Vernunftvermögen anzunehmen, um darauf die kritische Philosophie und eine rationelle Weltansicht aufzubauen. Sein ganzer Umfang ist also der Gegenstand der Begründung des Projekts der Wissenschaftslehre und der Ausgangspunkt jedes vernünftigen Denkens: Wir sollen uns zu den Ideen erheben, wie Fichte oft wiederholt. Nach dem vorliegenden Aufsatz also (1) zu den einfachen einzelnen Ideen, wie des Guten, des Schönen, der Tugend etc. (2) Zu den transzendentalen Vernunftbegriffen, die auf eine natürliche Weise in uns entstehen, wenn wir nach Erkenntnis streben, vor allem zu der Idee des Ich. (3) Zu den Postulaten der praktischen Vernunft, zur Annahme von Freiheit, deren Realität unserem Interesse entspricht, und des Ideals des höchsten Guts, welches das abgeleitete höchste Gut, die moralische Weltordnung, garantiert. Einige, die an philosophischer Erkenntnis tiefer interessiert sind, sollten auch (4) die Ideen des reinen Wissens und des reinen Willens in Besitz nehmen, also einer reinen Vernunft, um auf sie, ihre Produkte und ihr Vermögen zu reflektieren und sich damit mit der Wissenschaftslehre zu beschäftigen.
[1] Zu den Ansprüchen, die an die Vernunft allein im theoretischen Teil gestellt werden, vgl. z.B. KrV A57/B81 (es soll ihr möglich sein, von der Sinnlichkeit unabhängige Begriffe zu schöpfen, und es soll von ihr eine Wissenschaft geben); ebd. A298f/B355f. (sie soll das Anschauungsmaterial unter die höchste uns mögliche Einheit des Denkens bringen und durch logisches und materielles Vermögen Quelle von Ideen sein); ebd.: A832ff./B860ff. (es soll möglich sein, eine Architektonik aller Erkenntnis aus reiner Vernunft zu entwerfen, ein systematisches Ganzes ohne Lücken).
[2] Schopenhauer, Arthur, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In: Sämtliche Werke, Hübscher, A. (Hg.), Band I, Wiesbaden 1948ff., S. 113.
[3] Ich beziehe mich im Weiteren auf folgende Stellen: Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel, S. 39f. und 110-129; Die Welt als Wille und Vorstellung. In: Sämtliche Werke, Band II, S. 41-46 und 491-633 (einzelne Stellen aus dem Anhang zur Kritik der Kantischen Philosophie).
[4] Vgl. „Wir erkläreten, im erstern Teile unserer transzendentalen Logik, den Verstand durch das Vermögen der Regeln; hier unterscheiden wir die Vernunft von demselben dadurch, dass wir sie das Vermögen der Prinzipien nennen wollen.“ KrV A299/B356.
[5] Vgl. dazu KrV A312-320/B368-377.
[6] Kant folgt in seiner Platon-Rezeption und -Kritik einer metaphysisch-mystischen, von Aristoteles geprägten Interpretation. Die Frage nach ihrer Richtigkeit wird ausgeblendet.
[7] Vgl. KrV A320/B376f.
[8] Vgl. Kant, Jäsche-Logik, AA IX, 93.
[9] Demjenigen, der sich die Unterscheidung in der Leiter der Vorstellungsarten angewöhnt hat, „muß es unerträglich fallen, die Vorstellung der roten Farbe Idee nennen zu hören. Sie ist nicht einmal Notion (Verstandesbegriff) zu nennen.“ – KrV A320/B377.
[10] Zu dieser Ansicht kommt auch Peter König auf der Suche nach einem allgemeinen Ideenbegriff bei Kant. Vgl. König, Peter: Autonomie und Autokratie. Über Kants Metaphysik der Sitten. Berlin/New York 1994, S. 14-19.
[11] Vgl. KrV A646/B674, Kant, Jäsche-Logik, AA IX, 93 und KdU AA V, 235.
[12] Vgl. zu dieser Unterscheidung Klimmek, Nikolai F.: Kants System der transzendentalen Ideen, Berlin/New York 2005, S. 7-11.
[13] Wie Aristoteles gegen die Anhänger der Ideenlehre einwandte – vgl. Metaphysik 997b. Dadurch wäre im Prinzip von allem eine Idee möglich: Pferd, Mensch, Gesundheit an sich.
[14] Kant Pädagogik AA IX, 444. Vgl. auch andere Stellen und die Erörterung des Vollkommenheitsbegriffs in: König, Autonomie und Autokratie, S. 17-48.
[15] Vgl. KrV A335/B392. Zum Begriff „Klasse“ im Hinblick auf die Ideen vgl. Klimmek, Kants System, S. 51ff.
[16] Vgl. Kant KrV A403f. und vgl. auch in der B-Ausgabe: A344f./B402f.
[17] Zur Anwendung der Kategorientafel auf die Ideen vgl. Klimmek, Kants System, S. 61ff. und Bunte, Martin: Erkenntnis und Funktion, Zur Vollständigkeit der Urteilstafel und Einheit des kantischen Systems. Berlin/Boston 2016, S. 154ff. Nach Bunte gehört das Ich der Kategorie der Möglichkeit der Modalität nach. Kant spricht jedoch bei den beiden Stellen explizit von der „Kategorie der Existenz“ (A345/B402) und „Existenz“ (A403) bzw. „Dasein“ (A404). Die Diskussion um die Eindeutigkeit der Zuordnung wird hier und im Weiteren ausgeblendet.
[18] In diesem Fall wäre die Idee ein schematisierter, gegenständlich gebrauchter Begriff. Die Funktion der Ideen ist jedoch nicht nur auf einen solchen rein synthetischen Gebrauch beschränkt. Zum quasi-gegenständlichen Status vgl. insbesondere Zocher, Rudolf: „Zu Kants transzendentalen Deduktion der Ideen der reinen Vernunft.“ In: Zeitschrift für philosophische Forschung 12, S. 43-58, und König, Peter: „Über den imaginären Status der reinen Anschauungen und der Vernunftideen in Kants Kritik der reinen Vernunft.“ In: Gerhardt, V. (Hg.): Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, Bd. 2. Berlin/New York 2001, S. 774-782.
[19] Die Anschauung des Weltganzen wäre eine „zusammengefasste Unendlichkeit“ – ein Begriff, der sich selbst widerspricht – vgl. KdU AA V, 255.
[20] KrV A328/B384f.
[21] Vgl. KpV AA V, 134.
[22] Das höchste Gut = die moralische Welt ist selbst eine praktische Idee (vgl. KrV A808ff./B536ff. und KpV AA V, 43), die aber nicht zu den Postulaten im engeren Sinne gehört.
[23] Vgl. KpV AA V, 142-146 sowie 43f.
[24] Vgl. KdU AA V, 468f.
[25] Vgl. KpV AA V, 42.
[26] Vgl. KrV A803/B831.
[27] Ebd. A800/B828.
[28] Vgl. KpV AA V, 33.
[29] Vgl. Kant, Grundlegung, AA IV, 389 und 421: „Idee einer Vernunft, die über alle subjektiven Ursachen völlige Gewalt hätte.“ Die Idee einer reinen praktischen Vernunft ist auch dasselbe wie die Idee eines reinen Willens – vgl. ebd., 412 und KpV AA V, 55.
[30] KpV AA V, 103ff.
[31] Die, wie Kant schreibt, mühselige Deduktion der Kategorien war schließlich auch dafür bestimmt, das Übersinnliche kategorial bestimmt zu denken (vgl. ebd., 141), denn ohne die Kategorien kann man überhaupt keinen Gegenstand denken (vgl. ebd., 136f.).
[32] Vgl. ebd., 105: Die erste dynamische Kategorie (Kausalität durch Freiheit / reine praktische Vernunft, aus der Klasse der Relation) führt von der Sinnenwelt hinauf zur zweiten dynamischen Kategorie (Gott als notwendiges Wesen, aus der Klasse der Modalität).
[33] Kant, Jäsche-Logik, AA IX, 93.
[34] Vgl. Kant, Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Ansicht, AA VIII, 30.
[35] Vgl. KrV A57/B81.
[36] Zu unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten vgl. Gloy, K.: „Die drei Grundsätze aus Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794.“ In: Philosophisches Jahrbuch 91, S. 289-307.
[37] Vgl. Forberg, F.K.: „Briefe über die neueste Philosophie.“ In: Philosophisches Journal einer Gesellschaft teutscher Gelehrten 6 (1), S. 44-88.
[38] Vgl. ebd. S. 48ff. Zur Problematik „Etwas-Nichts“ vgl. auch Königs Vorschlag der Auffassung der Kantischen Ideen als entia imaginaria – König, „Über den imaginären Status“, S. 774-782.
[39] Vgl. Forberg, „Briefe“, S. 60, 72.
[40] Vgl. ebd. S. 75f.
[41] Vgl. ebd. S. 76ff.
[42] Vgl. ebd. S. 82-88.
[43] Vgl. ZwE GA I/4, 265f.
[44] Forberg führt einige Varianten eines bei Fichte denkbaren Vernunftschlusses an. Doch auch im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre findet man eine Möglichkeit, die Voraussetzung des Ichs aus dem Abbruch des Subjekt-Objekt-Regresses zu gewinnen – vgl. VnD GA I/4, 274f.
[45] In der Wissenschaftslehre nova methodo findet sich aber auch außerdem die Idee des reinen Willens in Auseinandersetzung mit Kant – vgl. WLnm-K GA IV/3, 440-445. Vgl. zu den drei Postulaten z.B. die Darstellung der natürlichen Entwicklung der praktischen Ideen in: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache GA I/3, 112ff.
[46] Vgl. Radrizzani, Ives: „Die Bestimmung des Menschen: der Wendepunkt zur Spätphilosophie?“ In: Fichte-Studien 17, S. 19-42.
[47] Vgl. WL-1801/02 GA II/6, 143.
[48] Vgl. dazu Fichtes Bemerkung über die Methode in WL-1804-II GA II/8, 76f. Überhaupt zur Ähnlichkeit der Hauptmomente der Wissenschaftslehre 1804/II zum Umriss von 1810, die sein Verständnis erleichtert, vgl. Schnell, Alexander: „Schema – Soll – Sein.“ In: Fichte-Studien 28, S. 75-83.
[49] Vgl. Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse dargestellt: GA I/10, 336-345.
[50] Als Beispiel vgl. Rampazzo Bazzan, Marco: „Idee und Gesicht in den Fünf Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811).“ In: Fichte-Studien 32, S. 25-36. Die Idee erhalte nach Fichtes Streit mit Jacobi einen eher Platonischen Sinn (ebd., S. 28). Aber welchen? Wäre der Tisch für Fichte auch eine Idee? Wären die Ideen angeboren und wären sie Ursachen der Einzeldinge? Oder ist der Platonische Sinn derjenige, der über Kant gegangen ist, wie oben dargestellt? Dann wäre er aber der Platon-Kantische oder kurz: Kantische zu nennen. Wenn es so ist, dann wäre es doch besser von einer expliziten Kant-Rezeption, wie es tatsächlich der Fall ist, als von einer impliziten Platon-Rezeption zu sprechen.
[51] Vgl. KrV A571ff./B599ff.
[52] Vgl. ebd. A578/B606 – Kants Rede vom Urbild (Prototypon) und mangelhaften Kopien (ectypa). Fichte wird die von Platon kommende und von Kant aufgenommene Bild-Metaphorik übernehmen und Kants Lehre von dem transzendentalen Schein ganz in sie überführen. Die Ideen werden nach einer scharfen Kritik nur als quasi-gegenständliche gebraucht, wie bei Kant so bei Fichte, die nur durch die praktische Vernunft Realität erhalten.
[53] Spricht man vom absoluten Wissen und nicht vom Absoluten, dann hebt man die Absolutheit auf – „jedes zweite Wort ist vom Uebel“ (Fichte an Schelling, 15. Januar 1802 GA III/5, 113; vgl. auch WL-1801/02 GA II/6, 143).
[54] Vgl. WL-1801/02 GA II/6, 144ff.; „soll die Vernunft, oder das Wissen durchaus mit Einem Blicke aufgefasst werden“ (ebd. 147); „Diese Einsicht der Absolutheit, dieses Wissen des Wissens von sich selbst, und was davon unzertrennlich ist, als absolut, ist Vernunft. Das blosse einfache Wissen, ohne daß es sich wiederum als Wissen fasse ist Verstand.“ (ebd. 212); Kant als Entdecker des Prinzips des reinen Denkens bzw. der Vernunft durch die „Transscendentalisirung der Logik“ (vgl. ebd. 323).
[55] Vgl. ebd. 212.
[56] Vgl. ebd. 323.
[57] Vgl. zu dieser Formel: ebd. 228f. Die Aufgabe eines jeden, der in die Wissenschaftslehre Einstieg finden will, ist eben das Sein scharf zu denken – in der Anweisung zum seligen Leben mit der abweichenden Formel als „von sich selbst, aus sich selbst, durch sich selbst“ (AzsL GA I/9, 85).
[58] Das praktische Interesse ist so sehr bestimmend, dass z.B. nach Kants Ansicht sogar die ganze Zurüstung der theoretischen Philosophie und ihre letztendliche Absicht lediglich drei Gegenstände betreffe: (1) die Freiheit des Willens, (2) die Unsterblichkeit der Seele und (3) das Dasein Gottes – vgl. KrV A798ff./B826ff.
[59] Dort geht es allerdings um das Sittengesetz, hier aber um die Annahme / die Zustimmung zu einer Idee. Vgl. Kant, Grundlegung, AA IV, 449 (Sollen eigentlich ein Wollen), 453f. Zur Übersicht über den Gebrauch des von Dieter Schönecker eingeführten Terminus‘ ontoethischer Grundsatz vgl. Puls, Heiko: Sittliches Bewusstsein und kategorischer Imperativ in Kants „Grundlegung“. Ein Kommentar zum dritten Abschnitt. Berlin/Boston 2016, S 182f., Fußnote 172.
[60] Umgekehrt betrachtet kann man auch den Vollzug als Folge des Sollens ansehen: Wir können es, d.h. wir haben ein Vermögen dazu, also sollen wir es tun, denn wir haben dieses Vermögen und es liegt nahe, von ihm Gebrauch zu machen. Wir sollen es, weil wir es können, also tun wir es, weil wir sollen. Dies ist im Prinzip die Zusammenfassung des Hauptpunktes, auf den es in den §§ 6-10 ankommt.
[61] Es geht an dieser Stelle noch nicht um das Sittengesetz und die Rolle der Freiheit ist auch gar nicht rein darauf zu reduzieren – vgl. den bekannten Zirkelverdacht in Kant, Grundlegung, AA IV, 448ff.
[62] Vgl. Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse dargestellt: GA I/10, 343.
[63] Vgl. Fußnoten 19 und 20.
[64] Vgl. insbesondere KrV A337f./B394ff. – die Stelle, an der Kant auch die Vollständigkeit und Begrenzung der transzendentalen Ideen an Zahl ausspricht.
[65] Vgl. Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse dargestellt, GA I/10, 341f. Bedeutend ist für Fichte an dieser Stelle, dass es nur die eine wahre und gleiche Welt für alle Subjekte gibt, als Bedingung der Realisierung des Sittengesetzes. Die kosmologischen Begriffe spielen hier im Zusammenhang mit dem Begriff des Weltganzen keine Rolle.
[66] Hegel, G.W.F.: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 179.
[67] Vgl. KrV A804f./B832f.
[68] Der Umriss von 1810 enthält zwar keine einfachen Ideen, sie sind aber auch vielmehr in den populären Schriften präsent.
[69] Vgl. KrV A569/B597.
[70] Ebd. A570/B598.
[71] Vgl. ebd. A800/B828.