Lewin, M. 2024. Philosophie zwischen Begriffsanalyse, Begriffsbildung, ‚Begriffsdichtung‘ und ‚Begriffsengineering‘. Wie die ‚Wortanalyse‘ das Vagheitsproblem lösen kann. In: Lewin, M. (Hg.), Klassische Deutsche Philosophie: Wege in die Zukunft, Brill/mentis.*

 

1 Einleitung

 

Im Anschluss an den vorhergehenden Aufsatz von Jan Podacker möchte ich auf mehrere Probleme der klassischen Methode der Begriffsanalyse hinweisen. Wie bei Kant so in der zeitgenössischen (u. a. auch analytischen) Philosophie scheint die Kategorie ‚Begriff‘ bzw. ‚Konzept‘ (concept) eine zentrale Rolle für das Verständnis dessen einzunehmen, was die Philosophen eigentlich machen.[1] Man arbeitet mit ‚Begriffen‘ wie ‚Freundschaft‘, ‚Sittlichkeit‘, ‚das Gute‘, ‚Gerechtigkeit‘, ‚epistemisch‘, ‚Analyse‘ etc., bildet, analysiert sie, transformiert ihre Bedeutung und ändert ihren Gebrauch oder führt neue ‚Begriffe‘ ein. Die Philosophie wird somit als ‚Begriffsarbeit‘, als Arbeit mit und an den ‚Begriffen‘ aufgefasst.

Bei Kant findet man die Aussage, dass die Philosophie „Vernunfterkenntnis […] aus Begriffen“ (KrV, A 837/B 865) sei.[2] Wenn man die Methodenlehre der ersten Kritik und die Logik-Vorlesungen hinreichend aufarbeitet, wird man zum Schluss kommen, dass „aus Begriffen“ genau genommen „aus der Analyse der Begriffe“ bedeutet. Denn die Philosophie handele insbesondere von reinen Begriffen (‚Kausalität‘, ‚Quantität‘. ‚Kraft‘, ‚Tugend‘, ‚Recht‘, ‚Philosophie‘, ‚Vernunft‘), die aus der Vernunft als ‚gegebene Begriffe‘ aufgenommen werden. ‚Gegeben‘ bedeutet als ‚Ganzes gegeben‘, so dass man, um an die Teile zu kommen, das gegebene Ganze zergliedern, i.e., analysieren müsse. Die ‚reinen gegebenen Begriffe‘ seien wie die ‚empirischen gegebenen Begriffe‘ (‚Hund‘, ‚Planet‘, ‚Metall‘) Gegenstand der Analyse, während ‚empirisch gemachte Begriffe‘ (etwa von Erfindungen wie Schiffsuhr oder die Flugmaschine von da Vinci) und ‚reine gemachte Begriffe‘ (etwa von mathematischen Gegenständen wie Dreieck) auf Synthesen beruhen. Bei Erfindungen oder mathematischen Gegenständen habe man die Einzelteile vor sich und man müsse nur noch zeigen, wie sie zusammengesetzt sind. Die Philosophen wollen keine Märchen erzählen, ‚Begriffe‘ erfinden oder reine Mathematik betreiben – sie wollen keine Erkenntnis aus der ‚Konstruktion der Begriffe‘ schöpfen.[3]

Wie Podacker (im Abschn. 3) richtig feststellt, bleibt Kant dem dargelegten Verständnis der genuin philosophischen Methode auch beim eigenen Philosophieren, etwa in der Transzendentalen Analytik, treu. Zugleich bemerkt der Autor des Aufsatzes, dass die „Unterscheidung von Analyse vs. Bildung etwas künstlich oder zumindest nicht disjunkt“ (Abschn. 5) sei. Und hierin sehe ich ein großes philosophisches Problem sowohl in Bezug auf Kant als auch auf Teile der zeitgenössischen Philosophie, insbesondere wenn sie auf die Kategorie ‚Begriff‘[4] rekurriert. Wenn die ‚Begriffsanalyse‘ und ‚Begriffsbildung‘ im Prinzip dasselbe wären, dann gäbe es kein Kriterium zum Ausschluss der Willkür bei der Bestimmung dessen, was notwendigerweise zu einem ‚Begriff‘ gehört und was nicht.

Im nächsten Schritt werde ich dieses Problem als das ‚Problem der Vagheit‘ herausstellen und im übernächsten Abschnitt eine Lösung anbieten. Diese wird darin bestehen, die Ausdrücke ‚Wort‘ und ‚Begriff‘ voneinander zu trennen und Wortanalyse als maßgebend für die Begriffsanalyse anzusehen.

 

2 Das metaphilosophische Problem der Vagheit

 

Die Schwierigkeit der trennscharfen Unterscheidung zwischen der Begriffsbildung und Begriffsanalyse besteht sowohl in diachroner als auch synchroner Hinsicht:

 

– Diachron: Zuerst bilde ich einen Begriff und dann analysiere ich ihn. Aber wenn ich ihn selbst gebildet habe, dann wird das Resultat der Analyse des Begriffs genauso ausfallen wie das Resultat der Bildung des Begriffs. Dann wären Begriffsbildung und Begriffsanalyse im Prinzip dasselbe.

– Synchron: Ich analysiere den Begriff und schaue mich nach Teilen um, die ihn ausmachen. Aber dann bilde ich ja diesen Begriff zugleich, weil die Teile nicht sofort als erkennbare Einzelteile des Ganzen erkennbar oder präsent sind.

 

Wenn man aber die Begriffsbildung und die Begriffsanalyse nicht voneinander trennen kann, dann wird man weder die kantische Abgrenzung der Philosophie von der Mathematik oder Erfindungstätigkeit rechtfertigen können noch behaupten können, dass die Methode der Analyse im transzendentalphilosophischen oder analytisch-philosophischen Sinne strenger als dogmatische oder nicht-analytische Methode sei und zu verlässlichen Resultaten des Philosophierens führe. Wenn man einen ‚Begriff‘ ‚bildet‘, dann besteht die Gefahr, dass man etwas ‚einbildet‘ oder ‚hineinbildet‘, was nicht per se dazu gehört. Dann wird nicht mehr behauptet werden können, dass man ohne eigenes Zutun bloß entfaltet, was notwendigerweise in einem ‚Begriff‘ liegt. Wenn selbst die Begriffsanalyse mindestens teilweise auf Begriffsbildung beruht oder gar mit ihr zusammenfällt, dann wird die Suche nach einem Kriterium zu eindeutigen Entscheidungen, was zu einem ‚Begriff‘ gehört und was nicht, dringend.

Für die Philosophie allgemein kann das insofern ungünstig werden, als es das, was Rorty als „metaphilosophischen Skeptizismus“ bezeichnet hat, nach sich ziehen kann.[5] Dem metaphilosophischen Skeptizismus zufolge mache die Philosophie wenig bis keine Fortschritte, weil man so viele verschiedene Positionen einnehmen könne, wie es Möglichkeiten gibt, philosophische ‚Begriffe‘ (neu) zu definieren: „[I]n epistemology we redefine ‘truth,’ ‘fact,’ ‘validity,’ ‘knowledge,’ and the like, and […] we have the option of redefining them in such a way as to take the wind out of our opponents’ sails.“[6] Beispiele für das, was Rorty meint, lassen sich leicht finden. So meinte Husserl einer selbstwiderlegenden Kritik an der ‚Standpunktphilosophie‘ durch die Verwendung des ‚Begriffs‘ ‚Einstellung‘ zu entgehen.[7] Carnap hat argumentiert, dass ‚Metaphysik‘ entweder eine ‚Grundlagenwissenschaft‘ und ‚Weltlehre‘ oder ‚intuitive Spekulation‘ bezeichnen könne, im ersten Fall sei sie eine Wissenschaft, im zweiten Gegenstand seiner bekannten radikalen Kritik.[8] Williamson will die Probleme, die Gettier mit der Definition von Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung verbunden hat, durch Einführung einer ‚knowledge-first‘ Epistemologie umgehen, für die der Bestandteil ‚Meinung‘ nicht wesentlich dafür sei, den ‚Begriff‘ ‚Wissen‘ zu verstehen.[9] Und Hazlett argumentiert, dass man den überstrapazierten ‚Begriff‘ ‚epistemisch‘ durch präzisere und kontextabhängige ‚Begriffe‘ wie ‚alethisch‘, ‚beweiskräftig‘ oder ‚rechtfertigend‘ ersetzen könne.[10]

Diese Beispiele signalisieren, dass Philosophen die Gefahr eines metaphilosophischen Skeptizismus entweder auf die leichte Schulter nehmen oder sie sehen in unterschiedlichen freien eigenen und fremden Begriffsauslegungen gerade den begrüßenswerten philosophischen ‚Wind für die eigenen Segeln‘. Vielleicht funktioniert die Philosophie je gerade so, dass man frei heruminterpretiert und neu definiert? Vielleicht ist die Forderung des frühen Carnap, dass philosophische ‚Begriffsdichtung‘[11] als willkürliche Transformation und Einführung neuer ‚Begriffe‘ vermieden werden solle, zu weit von der Realität der philosophischen Praxis entfernt?

In der Tat scheinen einige zeitgenössische analytische Philosophen in der Vermengung von Begriffsanalyse und Begriffsbildung kein Problem zu sehen. Wie Glock behauptet, sei die Begriffsanalyse eigentlich ein kreatives Zusammenspiel zwischen vorliegenden Fakten und Begriffen – sie sei daher teilweise eine ‚Begriffsbildung‘[12]. Immer wieder wird der Nutzen von feinkörnigen analytisch-synthetisch- und a prioria posteriori-Unterscheidungen als mögliche Lösung für das Problem der Vagheit in der analytischen Tradition von Quine[13] bis Williamson[14] in Frage gestellt. Selbst das prototypische Beispiel einer Analyse von ‚Junggeselle‘ als ‚unverheirateter Mann‘ scheint nach Williamson aufgrund der unterschiedlichen sprachlichen Erfahrungen und der Polysemie des englischen Worts ‚bachelor‘ nicht perfekt zu funktionieren.[15] Die Unterscheidung von analytisch und synthetisch sei vielleicht zu Kants Zeiten robust genug gewesen, um gewisse transzendentalphilosophische Probleme zu lösen, doch vor dem Hintergrund der heutigen Entwicklung der Sprachphilosophie tauge sie wenig.[16] Die neue Bewegung ‚Begriffsengineering‘ (‚conceptual engineering‘) scheint die Quintessenz der Vermengung von Begriffsanalyse und Begriffsbildung darzustellen. Die begrifflichen Ingenieure beschäftigen sich mit dem Entwurf, der Anwendung und Bewertung von ‚Begriffen‘.[17] Sie greifen in den ‚Begriffsgebrauch‘ ein, indem sie neue ‚Begriffe‘ einführen oder alte aufgeben oder überarbeiten.[18] Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Begriffsingenieure die Absichten der Sprechenden ignorieren, die dieselben ‚Begriffe‘ in unterschiedlichen Situationen anders einsetzen und inwieweit sie stipulativ vorgehen.[19] Was ist das Kriterium, das uns binden soll, den Stipulationen von Ingenieuren zu folgen, und nicht etwa unserem natürlichen Gebrauch der ‚Begriffe‘ oder unseren eigenen Stipulationen?

Man sieht, dass sowohl die fahrlässige als auch bewusste Vermischung von Begriffsanalyse und Begriffsbildung nicht weniger als eine scharfe Unterscheidung von Bildung und Analyse auf Probleme und Einwände stößt. Vor allem trägt sie zum Problem der ‚begrifflichen‘ Vagheit bei und verstärkt die Gefahr des Ausbruchs des metaphilosophischen Skeptizismus. In der Tat erkennen das auch etwa Chalmers und Williamson, nur wollen sie nicht auf die Idee der Zuverlässigkeit des Verfahrens der Analyse zurückgreifen, mit der klassischerweise eine gewisse ‚Unfehlbarkeit‘ der Zergliederung beansprucht wird. Chalmers will nicht, dass die Philosophie in bloßen ‚verbalen Disputen‘ endet und schlägt vor, einen gewissen Teil der philosophischen ‚Begriffe‘ – wie ‚ich‘ und ‚Bewusstsein‘ – als unantastbare allgemeingültige ‚Fundamentalbegriffe‘ (‚bedrock concepts‘) auszuweisen.[20] Sicherlich wollen wir uns in der Philosophie gut verständigen und über dasselbe unterhalten und streiten. Doch was ist Chalmers Vorschlag anderes als eine Form von Stipulation? Williamsons Position ist insofern ähnlich, als er die Kategorie ‚einfache Begriffe‘ (‚simple concepts‘) vorschlägt, die gegen das Problem der Vagheit immun wäre.[21] Die ‚begriffliche‘ Vagheit könnte ein Problem für das Prüfen von Wahrheit und Falschheit einer Aussage darstellen, z. B. von „Mars war immer schon entweder trocken oder nicht trocken“. Die Vagheitstheoretiker haben ein Problem, ein Wahrheitskalkül mithilfe von zweiwertiger Logik zu dieser Aussage zu erstellen, denn für sie sei es nicht ganz klar, ab wann man genau von Trockenheit sprechen kann. Wenn es Grade von Trockenheit gibt, dann müsse man eine mehrwertige Logik oder die Fuzzylogik heranziehen. Nach Williamson sei es komplett unnötig, denn die Aussage sei von sich aus nach der Regel vom ausgeschlossenen Dritten logisch schlüssig.[22] Man kann natürlich die Vieldeutigkeit durch Rekurs auf aktuellen (scheinbar allgemeingeltenden) Gebrauch eines ‚Begriffs‘ ‚ausklammern‘ (um den Ausdruck von Husserl zu benutzen) – doch damit löst man es nicht theoretisch, sondern umgeht es nur.

Auch wenn man bereit wäre, Chalmers oder Williamson entgegenzukommen und in manchen Fällen Debatten über Vagheit gar nicht ins Spiel kommen zu lassen (schließlich geht es bei unserer Erkenntnis nicht immer über ‚begriffliche‘ und semantische Fragen), so wird das Vagheitsproblem spätestens dann relevant, wenn es um philosophisch-terminologische Probleme und Entscheidungen geht. Das Problem der Definition von ‚Trockenheit’ ist philosophisch von geringer Bedeutung im Vergleich zur Frage, was man bei einem philosophischen Disput mit ‚Weisheit‘, ‚Tugend‘, ‚epistemisch‘, ‚analytische Philosophie‘ und ‚Relativismus‘ meint. Wie bereits Ryle richtig bemerkte, sind die Bezeichnungen philosophischer Positionen und mit ihnen verbundene ‚doktrinelle Inhalte‘ metaphilosophisch höchst problematisch.[23] Woher weiß man, dass drei Philosophen, die über ‚Relativismus‘ streiten, denselben ‚Begriff‘ vom Relativismus haben? Allein in neueren Debatten ist es nicht klar, welche doktrinellen Kerneigenschaften mit ‚Relativismus‘ verbunden werden sollen und ob ‚Relativismus‘ eine Position oder Einstellung oder Weltansicht sei.[24] Zu behaupten, dass ‚Relativismus‘ – oder etwa ‚Perspektivismus‘ oder ‚analytische Philosophie‘ – einfach nur ‚bedrock concepts‘ oder ‚simple concepts‘ seien, hilft überhaupt nicht weiter.

Das metaphilosophische Problem der Vagheit besteht darin, dass viele philosophisch relevante ‚Begriffe‘ entweder dunkel bleiben oder nur ungefähr verstanden werden, während die Versuche, sie zu definieren, auf Meinungsverschiedenheiten stoßen. Wie ich angedeutet habe, ist die zeitgenössische analytische Philosophie aufgrund der Vermengung der Begriffsanalyse mit der Begriffsbildung nicht in der Lage, dieses Problem zufriedenstellend zu lösen. Auch der Rekurs auf einfache oder fundamentale Begriffe überzeugt nicht.

Vor diesem Hintergrund scheint sogar der kantische Zugang versprechender, obwohl auch er seine Schwachstellen hat, auf die ich weiter unten eingehen werde. Seine Stärke besteht darin, dass genügend Unterscheidungen eingeführt werden, die helfen, verschiedene Dimensionen, Kontexte und Lösungsmöglichkeiten des Vagheitsproblems zu beleuchten. Neben der Unterscheidung von Begriffsbildung und Begriffsanalyse ist die Ausdifferenzierung der ‚Begriffsarten‘ (empirische vs. reine; gegebene vs. gemachte) und entsprechender Begriffsbearbeitungsoptionen (Erkenntnis aus der Analyse vs. Erkenntnis durch Konstruktion; Definition vs. Deklaration vs. Exposition vs. Explikation) relevant. Der Großteil der philosophischen ‚Begriffe‘ gehört zu ‚gegebenen reinen Begriffen‘ und wird exponiert, analytisch auseinander- und offengelegt. ‚Gemachte reine Begriffe‘ werden in der Mathematik konstruiert und definiert. ‚Gemachte empirische Begriffe‘ werden deklariert (synthetisch gebildet, ausgedacht, wie ‚Begriffe‘ von Erfindungen) und ‚gegebene empirische Begriffe‘ werden expliziert, analytisch deutlich gemacht. Zudem kann auch der bloße ‚Wortgebrauch‘ (nominale Erklärung) expliziert werden (etwa: ich benutze das Wort ‚Staub‘ im Sinne von ‚feinkörniger Staub‘). Der Grund vieler Probleme, welche die Transzendentalphilosophie erkennt, könnte man darin sehen, dass diese transzendentalphilosophischen Unterscheidungen nicht gemacht werden und Philosophen definieren, wo es zu exponieren gilt (sie glauben, einen ‚Begriff‘ vollständig und deutlich zu erkennen, von dem nur eine ‚imperfekte Definition‘ möglich sei), oder explizieren, wo man exponieren muss (sie Hypostasieren durch Rekurs auf Erfahrung die intelligiblen Gegenstände der ‚reinen Begriffe‘) etc.[25]

  Schauen wir uns zunächst einmal die kantische Lösung des metaphilosophischen Vagheitsproblems an, welche den Unterschied zwischen der Begriffsanalyse und Begriffsbildung betont. Dazu folgen wir der Unterscheidung zwischen ‚empirischen‘ und ‚reinen Begriffen‘, um anhand dieses Leitfadens nachzuvollziehen, wie Kant das Verhältnis von der Begriffsbildung zur Begriffsanalyse denkt. Ich werde im Anschluss eine alternative Lösung des Vagheitsproblems vorstellen, welche für sich beanspruchen wird, sowohl die Probleme der zeitgenössischen analytischen Philosophie als auch die Schwachstellen des kantischen Projekts in den Griff zu bekommen.

 

2.1 ‚Empirische Begriffe‘

 

Zu ‚empirischen Begriffen‘ im Sinne Kants gehören ‚Planet‘, ‚Blume‘ und ‚Metall‘. Im Anschluss an die traditionelle Logik und etwa an Locke schlägt Kant vor, das Verfahren der Begriffsbildung mithilfe der drei aufeinander abgestimmten Handlungen zu verstehen: Komparation, Reflexion und Abstraktion (vgl. Log, AA 09, 94). Wie man etwa zu dem ‚Begriff‘ der Blume gelangt, ist relativ simpel: Ich vergleiche rote Rosen, rote Dahlien und Sonnenblumen, ich reflektiere über das, was ihnen gemeinsam ist, und abstrahiere es von allen anderen möglichen Kennzeichen, um den Begriff ‚Blume‘ zu erhalten. Dieser ‚Begriff‘ ist seinerseits Teil anderer ‚Begriffe‘. Ich kann mir viele andere Blumen vorstellen, und ich kann etwas als Blume identifizieren, wenn ich weiß, was notwendigerweise zum ‚Begriff‘ der Blume gehört. Ich kann sie auch einem Oberbegriff, etwa ‚Pflanze‘, unterordnen. ‚Empirische Begriffe‘ sind im Prinzip abstrakte Kopien von Erfahrungsgegenständen. Die Adäquatheit der Explikation der Merkmale des Begriffs ‚Blume‘ lässt sich anhand empirischer Untersuchungen von Blumen in der Wirklichkeit überprüfen. Man kann dadurch den ‚Begriff‘ berichtigen oder synthetisch erweitern, falls man auf Eigenschaften trifft, die allen Blumen zukommen, die aber in dem ‚Begriff‘ der Blume noch nicht repräsentiert sind. Ein anderes Beispiel ist der ‚Begriff‘ ‚Planet‘. Die Merkmale ‚in einer Umlaufbahn um einen Stern‘, ‚bestimmte ausreichende Masse‘, ‚runde Form‘ und ‚dominantes Objekt in seiner Umlaufbahn‘ gehören zur Intension bzw. zum Inhalt dieses ‚Begriffs‘. Die ‚Begriffe‘ ‚Merkur‘, ‚Erde‘, ‚Mars‘, ‚Jupiter‘ usw. enthalten diese Merkmale, d.h. sie gehören zur Extension des ‚Begriffs‘ ‚Planet‘. In der Regel stehen Intension (Inhalt) und Extension (Anwendbarkeitsfeld) eines ‚Begriffs‘ nach Kant „in umgekehrtem Verhältnis zueinander. Je mehr nämlich ein Begriff unter sich enthält, desto weniger enthält er in sich und umgekehrt“ (Log, AA 09, 95). Der ‚Begriff‘ ‚Himmelskörper‘ hat eine größere Ausdehnung als der ‚Begriff‘ ‚Planet‘, da er auf mehr Objekte angewandt werden kann; aber er ist gleichzeitig ‚dünner‘, er enthält weniger konkrete Merkmale, die mehreren Objekten gemeinsam zukommen.

     Bei ‚empirischen Begriffen‘ scheint in der Tat die Begriffsanalyse mit der Begriffsbildung zusammenzufallen, denn beide beruhen auf empirischen Daten bzw. nutzen sie zum Abgleich: Bei den drei Verstandeshandlungen Komparation, Reflexion und Abstraktion wird auf in der Erfahrung gegebene Gegenstände zurückgegriffen, bei der Zergliederung eines empirischen Begriffs wird ebenso Erfahrung zur Hilfe genommen. Die ‚Begriffe‘ ‚Blume‘ und ‚Planet‘ sind sowohl als ‚Begriffe‘ als auch als Erfahrungsgegenstände als etwas Ganzes gegeben, dessen Teile sowohl in der empirischen Anschauung als auch in begrifflicher Analyse sukzessive ausdifferenziert werden. Dieses Ganze und auch die einzelnen Teile bilden real existierende Gegenstände nach.

     Im Fall von ‚empirischen Begriffen‘ ist die Begriffsanalyse deswegen nicht willkürlich, weil sie mit der Begriffsbildung auf dieselben empirischen Daten zugreift. Die Merkmalsanalyse (die Analyse von Bestandteilen eines ‚Begriffs‘, etwa: ‚grün‘, ‚Fotosynthese‘, ‚Stamm‘, ‚Äste‘ ‚Laubblätter‘ etc. für ‚Laubbaum‘) ist empirisch überprüfbar und korrigierbar – genauso wie die Begriffsbildung. Das Problem der Vagheit tritt jedoch nach Kant auch bei ‚empirischen Begriffen‘ auf (vgl. KrV, A 727f./B 755f.). Es sei nämlich erstens nicht ausgemacht, wann wir genügend Merkmale gesammelt haben, um zu sagen, dass wir einen ‚empirischen Begriff‘ komplett expliziert haben. Zweitens sei es möglich, dass die Erfahrung neue Sinnesdaten liefert, die zu einer Revision der Intension oder Extension eines ‚empirischen Begriffs‘ führt. Drittens können auch einzelne Personen oder Gruppen von Personen bestimmen, wie Wörter gebraucht werden, und dadurch für Konfusionen sorgen. Ein relativ aktuelles Beispiel ist der ‚Begriff‘ des Planeten. Im Jahr 2006 wurde von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) festgelegt, dass zur Identifikation eines Planeten das folgende Set von Merkmalen erfüllt werden müsse: „kreist um die Sonne“, „hat ausreichend Masse, um eine annähernd runde Form zu haben“, „dominiert seine Umlaufbahn und räumt sie von weiteren Objekten“. Da bei Pluto „räumt sie von weiteren Objekten“ nicht erfüllt sei, sei Pluto kein Planet. Seit 2006 habe unser Sonnensystem also nur acht Planeten.[26] Das wurde teilweise scharf kritisiert – denn die Bestimmung beruhe auf einer Stipulation und einem linguistischen Fehlgriff: selbst ‚Zwergplanet‘ wurde paradoxerweise nicht dem ‚Oberbegriff‘ ‚Planet‘ untergeordnet.[27]

 

2.2 ‚Reine Begriffe‘

 

Während bei ‚empirischen Begriffen‘ das Problem der Vagheit daraus resultiert, dass entweder (noch) nicht alle empirische Daten vorliegen oder dass man sich nicht einigen kann, welche Daten notwendigerweise zur Intension eines ‚Begriffs‘ gehören sollen, sind ‚reine Begriffe‘ nach Kant allein schon deswegen vage, weil man sie nicht – bzw. nicht komplett – mit empirischen Daten abgleichen könne (vgl. KrV, A 728f./B 756f.). Zu den ‚reinen Begriffen‘ gehören die Kategorien (‚Substanz‘, ‚Kausalität‘), die preadicabilia (‚Kraft‘, ‚Wirkung‘), die Notionen (‚das Wesentliche‘, ‚das Einfache‘), die Ideen (‚Tugend‘, ‚Freiheit‘, ‚Unendlichkeit des Universums‘, ‚Philosophie‘, ‚Vernunft‘) und die Begriffe von mathematischen Objekten (‚Dreieck‘). Einerseits behauptet Kant in der Jäsche-Logik (zu beachten gilt, dass es sich nicht um ein vollständig autorisiertes Manuskript handelt), dass die logischen Operationen der Komparation, Reflexion und Abstraktion „die wesentlichen und allgemeinen Bedingungen für die Erzeugung eines jeden Begriffs überhaupt“ (Log, AA 09, 94, Hervorhebung von M.L.) seien. Andererseits betont er aber, dass ‚reine Begriffe‘ nicht aus der Erfahrung stammen, was bedeutet, dass sie nicht das Ergebnis einer Abstraktion von sinnlichen Gegenständen und einer Kombination von Vorstellungen (aus denen ‚Begriffe‘ bestehen) sein können.[28] Dies stellt ein schwieriges Dilemma dar.[29] Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma ist die Behauptung, dass sie – mit Ausnahme der mathematischen Begriffe – entweder durch die Natur des Verstandes oder durch die Vernunft gegeben seien. Der andere Weg ist, andere Operationen vorzuschlagen, wie es Kant in Bezug auf die Ideen der Vernunft getan hat: sie seien nicht nur reflektiert, sondern natürlich erschlossen (vgl. KrV, A 310/B 366). Oder wie im Falle der mathematischen Begriffe, in dem dargelegt wurde, dass sie aus einer intuitiven Synthese resultieren.

     Was die Begriffsbildung im Fall der ‚reinen Begriffe‘ betrifft, so kann man sich mehr theoretischen Input von Kant selbst wünschen. Wie die transzendentalen Ideen, etwa der räumlichen ‚Unendlichkeit der Welt‘, gebildet werden, wurde von Kant einigermaßen geklärt. Sie bauen auf Notionen, die auf Kategorien beruhen, auf – so wird etwa in einem transzendentalen Schlussverfahren im Sinne eines ‚hypothetischen Vernunftschlusses‘ aus dem ‚Vielen‘, auf weiteres ‚Vieles‘ und schließlich auf ‚unendlich Vieles‘ geschlossen. Die Kategorie der ‚Vielheit‘ oder die Notio ‚das Viele‘ enthält nun nicht ‚unendlich Vieles‘ (ein Maximum) analytisch in sich – das ist eine Synthese beruhend auf einer ‚Spontaneitätsleistung‘ des ‚Gemüts‘ bzw. der ‚Vernunft‘. Umgekehrt enthält aber die Idee (der ‚Vernunftbegriff‘) der ‚Unendlichkeit der Welt‘ die Notio ‚das Viele‘ oder die Kategorie ‚Vielheit‘ analytisch als ein Merkmal und Bestandteil des ‚Begriffs‘ in sich. Man kann den ‚Begriff‘ der Unendlichkeit der Welt nicht denken ohne zugleich an die Vielheit zu denken. Und so geht es uns bei allen ‚transzendentalen Vernunftbegriffen‘ – ihnen sind einzelne Kategorien oder Teile der Kategorientafel zugeordnet.[30]

     Eben aufgrund der blitzartig sich vollziehenden unbemerkten Denkleistung, der Spontaneität, erscheinen uns solche oder andere ‚reine Begriffe‘ nicht als von uns gebildet, sondern als gegeben. Mit ‚gegebenen Begriffen‘ meint Kant also mitnichten angeborene Ideen.[31] Weil es nicht genauso wie im Fall der ‚empirischen Begriffe‘ klar und empirisch nachvollziehbar ist, wie die Begriffsbildung ablief, ist man auf nichts anderes als auf die Analyse angewiesen. Also auf eine Entfaltung, eine Exposition dessen, was zufolge der Spontaneität zuvor in einem ‚reinen Begriff‘ synthetisch vereint worden ist. Aber auch hier stößt man auf ein Problem: Woher weiß ich, dass ich bei der Exposition der Merkmale, die angeblich zu einem ‚reinen Begriff‘ gehören sollen, nicht plötzlich und willkürlich neue Merkmale synthetisch hinzufüge – und nicht die unbemerkte Begriffsbildung einfach bewusst fortführe im guten Glauben eine Begriffsanalyse zu betreiben?

     Im Fall von ‚reinen Begriffen‘ nimmt das Problem der Vagheit neue Ausmaße an, weil das empirische Kriterium fehlt. Gerade hier ist es ungünstig wie Podacker zu behaupten, dass die Unterscheidung zwischen Begriffsanalyse und -bildung künstlich sei, oder, wie einige zeitgenössische analytische Philosophen, beides miteinander zu vermischen. Damit hätte man ein gutes Argument sowohl gegen Kants Philosophie als auch gegen jede Form (auch kritische) der Metaphysik und der Philosophie im Ganzen. Wenn Kant und die Philosophen bei solchen ‚Begriffen‘ wie ‚Tugend‘, ‚Weisheit‘, ‚Kausalität‘, ‚Recht‘, ‚Gerechtigkeit‘, ‚Unendlichkeit der Welt‘, ‚Gott‘, ‚Vernunft‘ und ‚Philosophie‘ in Wirklichkeit und stillschweigend Begriffsbildung für Begriffsanalyse ausgeben, dann sind sie bloße ‚Begriffsdichter‘.

     Ich denke, dass dieses Argument und der darauf aufbauende ‚metaphilosophische Skeptizismus‘ sehr erfolgreich werden können – und vielleicht auch werden sollen, um der Philosophie einen neuen Impuls zu geben. Denken wir z. B. an den ‚Begriff‘ der Vernunft. Wenn Kant Recht hat, dann müssten wir bzw. die ‚Spontaneitätsleistungen‘ unserer ‚Gemüter‘ ungefähr dasselbe Set von Merkmalen synthetisiert haben, um den ‚gegebenen reinen Begriff‘ der Vernunft zu erhalten. Nun unterscheidet man in der Kant-Forschung zum Beispiel folgende Merkmale des ‚Vernunftbegriffs‘:[32]

 

Tabelle 4.1

ist menschlich oder nicht-menschlich (intellectus archetypus);

hat Bedürfnis;

ist einheitlich;

kann faul sein;

hat eine Geschichte;

hat Interesse;

ist praktisch und spekulativ;

ist rein und nicht rein;

bildet Begriffe (Ideen);

stellt Einheit her;

kann gebraucht werden;

erkennt;

gibt etwas eine Form;

gibt Gesetze;

handelt;

gibt Gründe;

glaubt;

bildet Hypothesen;

bildet logische Schlüsse; kann zum Vernünfteln gebraucht und missbraucht werden;

kann ein Prädikat von Wesen, Recht und Wissenschaften sein.

Ich habe in einem anderen Aufsatz allein im Hinblick auf das, was Kant ‚Vernunft im engeren Sinne‘ oder ‚das Vermögen der Ideen‘ nennt, folgende Merkmale erfasst:

 

(I) basic features: (1) faculty, (2) rational (Rb in contrast to the empirical), (3) the narrower sense (Rn in contrast to other higher faculties of cognition).

(II) causal functional features: (4) makes intermediate inferences, (5) gives ideas (seven kinds of ideas), (6) gives principles.

(III) additional functional features: (7) has uses, (8) is the source of interests and ends, (9) is unified.[33]

 

Weder ein Philosophiestudent im ersten Bachelorkurs zu Kant noch eine Kant-Forscherin, die sich hauptsächlich mit Themen aus der Transzendentalen Analytik befasst, werden den ‚Begriff‘ der Vernunft so bilden, dass sie alle diese Merkmale spontan vereinen werden. Sie kennen diese Merkmale noch nicht. Sie lernen sie erst kennen, wenn sie sich jahrelang mit dem kantischen ‚Begriff‘ der Vernunft beschäftigen. Die Kant-Forschung darf für sich behaupten, dass sie eine kollektive Begriffsanalyse des kantischen (!) ‚Vernunftbegriffs‘ betreibt, so wie er in seinen Werken präsent ist. Sie kann die Resultate ihrer Untersuchung, welche Merkmale notwendigerweise dazu gehören und in welcher Form, mit Textpassagen abgleichen, also gewissermaßen ‚empirisch‘ vorgehen. Doch weder Kant noch ein Philosophiestudent noch ein Kant-Forscher oder Fichte, Hegel, Nietzsche und Popper werden den ‚Begriff‘ ‚Vernunft‘ so bilden bzw. gebildet haben, dass sie die ganze Menge der angeführten Merkmale spontan und unbewusst verbinden würden, die sie dann nur noch auseinanderzulegen hätten, um diese Merkmalsmannigfaltigkeit wieder zu erhalten.

Insofern scheint uns Kant mit seinem ‚Vernunftbegriff‘ nicht etwas ‚voranalysiert‘ zu haben, was wir selbst – zufolge seiner Idee der ‚philosophischen Archäologie‘[34] – auch selbständig ‚nachanalysieren‘ könnten, sondern etwas ‚vorgebildet‘, was wir nur noch mit Hilfe der kantischen Werke ‚nachbilden‘ können. Damit kommen wir auf den Boden der ‚normalen‘ Situation des Philosophierens zurück: mein ‚Begriff‘ ist nicht dein ‚Begriff‘, mein Resultat der Analyse ist nicht dein Resultat der Analyse. Oder, wie Schnädelbach mit seiner kurzen Geschichte des ‚Vernunftbegriffs‘ demonstriert: die Vernunft sei ein offener ‚Begriff‘, welches sich jede Kultur unterschiedlich zurechtlege.[35]

 

3 Mögliche Lösungsvorschläge zu dem aufgeworfenen Vagheitsproblem

3.1 Problematische Vorschläge innerhalb des bestehenden ‚Paradigmas‘

 

Das Vagheitsproblem in Bezug auf ‚reine Begriffe‘ lässt sich nicht so einfach beheben. Wenn wir beim Beispiel der Vernunft bleiben, so ist die ‚Versinnlichung‘ der Vernunft keine Option für den Transzendentalphilosophen. Die Vernunft ist kein Ding. Ein anderer Weg bestünde darin, die Vernunft als ein Vermögen aufzufassen, von dem wir zwar nicht an sich wissen können, auf dessen Kausalität wir jedoch aufgrund gewisser ‚Erscheinungen‘ schließen können (etwa im Fall des Sittengesetzes oder der Ideen).[36] Das führt jedoch zu typischen Problemen der traditionellen Bewusstseins- und Vermögensphilosophie. Wenn wir physiologische Ursachen des Sprechens und Singens untersuchen, dann können wir die Aufgaben der Stimmlippen von Funktionen anderer 100 beteiligter Muskeln unterscheiden und beschreiben. Das ist im Fall der ‚Vernunft‘ nicht möglich – woher wissen wir, wo die Vernunft anfängt und aufhört, wenn es etwa noch den Verstand und die Einbildungskraft gibt? Erzeugt die Vernunft oder, wie Kant an einer Stelle sagt (vgl. KrV, A 408f./B 435f.), doch der Verstand Ideen? Der kantische ‚Begriff‘ der Vernunft bleibt durch das ganze Werk hindurch vage. Er trägt ein zu hohes theoretisches Gewicht und ist durch zahlreiche Merkmale ziemlich überladen. Auch wenn diese Merkmale in Zusammenstimmung gebracht werden können, so weiß man nicht, ob das Ende dann noch ‚Vernunft‘ oder ein erstelltes Idealbild eines ‚Supervermögens‘ ist.

     Das Problem der Vagheit in Bezug auf den ‚Begriff‘ der Vernunft kann man auch nicht konsenstheoretisch oder konventionalistisch lösen. Angenommen, eine Gruppe von Kant-Forschern macht eine Abstimmung nach dem Vorbild der IAU, die sich durch eine Mehrheitsabstimmung auf ein Set von Merkmalen zur Definition von ‚Planet‘ geeinigt hat. Auch wenn diese Gruppe sich auf einen ‚Begriff‘ der Vernunft einigt, werden zahlreiche Gegenstimmen sowohl von Kant-Forschern als auch von anderen Theoretikern der Vernunft kommen, die nicht einverstanden sein werden. Selbst die Texte von Kant werden sicherlich gegen die eine oder andere Merkmalsfestlegung sprechen.

     Man kann auch eine fichtesche Lösung versuchen und sagen, dass der ‚Begriff‘ der Vernunft sich auf eine Reihe von Handlungen bezieht, von denen zumindest die erste, die ‚Sichselbstsetzung‘ (‚Tathandlung‘), sich intellektuell anschauen lasse (Fichte hat später auch manchmal behauptet, dass sich weitere genetisch ableitbare Bewusstseinshandlungen intellektuell anschauen ließen).[37] Wenn ich eine Handlung intellektuell anschauen kann, dann kann ich mit Gewissheit sagen, welche Merkmale der ‚Begriff‘ der Vernunft in sich enthält – etwa ‚Aktivität‘, ‚Freiheit‘ und ‚Ich‘. Fichte setzt an vielen Stellen ‚Ich‘ und ‚Vernunft‘ gleich, z. B. in der zweiten Vorlesungsreihe zur Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1804: „Wir sind allerdings die Vernunft; denn die Vernunft ist schlechthin Ich, und kann nach dem längst geführten Beweis nichts Anderes sein, denn Ich; also: wir erscheinen oder Vernunft erscheint, ist ganz gleich“ (WL-1804-II, GA II/8, 400). Auch wenn der fichtesche Weg verlockend scheint, wenn die ‚intellektuelle Anschauung‘ tatsächlich möglich ist bzw. wenn das, was man der Aufforderung zur ‚Tathandlung‘ nachgehend zu vollziehen versucht, mit dem, was Fichte gemeint hat, identisch ist, so bleibt der ‚Begriff‘ der Vernunft immer noch vage. U. a. ist nicht klar, inwiefern ‚Ich‘ und ‚Vernunft‘ Synonyme sein können. Mit derselben Willkür kann ein Nietzscheaner ‚Ich‘ und ‚Leib‘ gleichsetzen.

 

3.2 Ein Neuanfang: Wort vs. Begriff

 

Im Laufe des Aufsatzes habe ich bewusst das Wort ‚Begriff‘ in einfache Anführungszeichen gesetzt. Es ist ein Ausdruck, den Kant und vielleicht die überwiegende Mehrheit der Philosophen benutzen. So bleibt zum Beispiel Podackers Aufsatz „Kants Begriff des Begriffs“ ganz klar innerhalb der Grenzen dieses (auch kantischen) Paradigmas. Wenn ‚Vernunft‘ ein ‚Begriff‘ ist, dann ist auch der ‚Begriff‘ ein ‚Begriff‘: man bleibt konsequent im Bereich der Begriffstheorie. Setzt man aber für ‚Begriff‘ ‚Wort‘, ‚Ausdruck‘, ‚Phrase‘ oder Ähnliches, und für ‚philosophische Begriffsarbeit‘, ‚Begriffsanalyse‘, ‚Begriffsbildung‘, und ‚Begriffsgeschichte‘ etwa ‚philosophische Terminologie‘, ‚Wortanalyse‘, ‚Wortbildung‘ und ‚Wortgeschichte‘ ein, dann öffnet sich ein neuer Blick auf das Problem der Vagheit.

     In der Tat tut man es auch gelegentlich und vermischt dabei beide Paradigmen. Es fängt im Alltäglichen an. Wie der Linguist Heinz Vater festgestellt hat, zeigen Sprecher des Englischen und des Deutschen oft nicht die Kompetenz, zwischen den Ausdrücken ‚Wort‘ und ‚Begriff‘ zu unterscheiden.[38] In deutschen Medien finde man solche Beispiele für den Einsatz des Ausdrucks ‚Begriff‘, wie: einen ‚Begriff‘ auf der Zunge tragen; verlangen, einen ‚Begriff‘ zu buchstabieren; erklären, was der ‚Begriff‘ X bedeutet; der ‚Begriff‘ X ist das Wort des Jahres. Alle diese Formen finde man auch in akademischen Arbeiten von Professoren und Studenten wieder. Das stelle nach Vater eine unzulässige Vermischung von dem Ausdruck ‚Wort‘, der für die „Spracheinheit, die kleinste (atomare) Einheit der Syntax, die größte (maximale) Einheit der Morphologie“[39] stehe, mit dem Ausdruck ‚Begriff‘, der für eine lexikalische Bedeutung bzw. Denkeinheit stehe. Eine richtige Verwendungsweise wäre zum Beispiel: Wir haben unterschiedliche Begriffe von dem, was man ‚X‘ nennt.

     In vielen Arbeiten in der analytischen Tradition ist es nicht klar, was die Autoren mit ‚Begriff‘ meinen. So kommt es oft vor, als würden die ‚Begriffsingenieure‘ mit ‚conceptual engineering‘ eigentlich ‚linguistic engineering‘ oder sogar so etwas wie ‚linguistic programming‘ (wie das bekannte ‚neuro-linguistic programming‘ (NLP)) meinen. Wenn etwa Kitsik schreibt: „At a very general level, we can engineer what I call ‘agenda-setting concepts,’ such as the concepts of philosophy, metaphysics, and epistemology […]. Such agenda-setting

concepts influence what philosophers pay attention to […]“[40], so ist es nicht klar, was sie mit ‘concept’ meint. Ist damit das Aufmerksamkeit erregende Wort oder die Bedeutung oder kognitive Einheit gemeint? Wenn Letzteres, dann wird das insofern unverständlich, als wir mit ‚Philosophie‘, ‚Epistemologie‘ und ‚Metaphysik‘ unterschiedliche Bedeutungen oder ‚Begriffe‘ verbinden. Ein anderes Beispiel: Schumann schreibt in seinem Beitrag zur ‚Begriffsanalyse‘ in einem aktuellen Handbuch zur Erkenntnistheorie:

 

Die in der analytischen Erkenntnistheorie hartnäckig unternommene Suche nach der Begriffsanalyse von ‚Wissen‘ mag sich als eine vergebliche Suche herausstellen, denn ‚Wissen‘ und die mit ihm verwandten Wörter können in vielen verschiedenen Hinsichten gebraucht werden, so dass es von Anfang an aussichtlos wäre, eine allgemeine und für alle Verwendungssituationen angemessene Definition von ‚Wissen‘ zu geben.[41]

 

Beschäftigt sich die analytische Erkenntnistheorie mit der Analyse des ‚Begriffs‘, der mit dem Wort ‚Wissen‘ verbunden wird, oder mit der Begriffsanalyse des ‚Begriffs‘ des Wissens oder mit der Definition des Worts ‚Wissen‘?[42] Im Vorwort zur zweiten Auflage von „The Philosophy of Philosophy“ (2022) schreibt Williamson, dass er bisher zu wenig dafür getan habe, die Ausdrücke ‚concept‘ und ‚conceptual‘ zu definieren. Er wünsche sich mehrere Stellen aus der ersten Auflage, an denen er von ‚Begriffen‘ und ‚begrifflichen Praktiken‘ spricht, durch ‚Wörter‘ und ‚sprachliche Praktiken‘ zu ersetzen.[43] In unserem Debattenaufsatz „Kant and Analysis“ hält er schließlich fest: “I no longer try to do serious work with the term ‘concept’, because I take the individuation of ‘concepts’ to be hopelessly obscure […].”[44] Das klingt aus meiner Sicht nach einem Startruf zu einem Neuanfang – oder zumindest zu einer neuen Hinterfragung des Verhältnisses zwischen ‚Wort‘ und ‚Begriff‘.

     Bei Kant scheint das Problem der Vermischung von ‚Wort‘ und ‚Begriff‘ auf den ersten Blick deswegen ausgeschlossen zu sein, weil er die Dimension der Sprache ausblendet. Seine Rede vom ‚Begriff‘ der Vernunft oder der Philosophie bleibt konsequent begriffstheoretisch. Wie das Wort ‚Vernunft‘ zu verstehen ist, interessiert Kant nicht. Wenn es um die Analyse des ‚Begriffs‘ der Vernunft geht, dann geht es um die Analyse der Vorstellungen selbst, die eine ‚begriffliche‘ Einheit ausmachen. Das Problem taucht jedoch implizit auf, sobald man sich fragt, welches Verständnis des Begriff-Wort-Verhältnisses sich hinter einem solchen Vorgehen verbirgt. Das sprachliche Zeichen, das Lexem ‚Vernunft‘, bezieht sich auf eine Menge reflektierter und geeinter Vorstellungen (bewusstseinstheoretisch gesehen) bzw. Merkmale (logisch gesehen) und man kann sich fragen, ob die Bezeichnung mit dieser Menge harmoniert. Das tut auch Kant gelegentlich, indem er auf die Sprachwahl achtet und zum Beispiel die Bezeichnung ‚Idee‘ für eine Klasse von ‚reinen Begriffen‘ wählt, sich kritisch auf die Einführung dieses Terminus bei Platon berufend und sich gegen den Gebrauch dieses Ausdrucks zur Bezeichnung aller möglichen Vorstellungsarten im neuzeitlichen Rationalismus und Empirismus wendend. ‚Vernunft‘ dient zur Bezeichnung sowohl des ‚höheren‘ Vermögens als Verstand als auch des ganzen oberen Erkenntnisvermögens, einschließlich Verstand, und muss zumindest die oben aufgelisteten Merkmale in sich enthalten.

     Nach Strauß gehöre dieser Umgang mit Sprache zu dem, was er das „klassisch-dyadische Paradigma“ nennt, das sich auch in der aufklärerischen Lexikographie finde.[45] Es bestehe in der Auffassung, dass Sprache ein unabhängiges, postfaktisches Hilfsmittel für geistige oder philosophische Leistungen sei. Diesem Paradigma folgend seien materielle, gezeigte, geschriebene oder gesprochene Zeichen Ausdrucksmittel von Gedanken als Ergebnissen sprachunabhängiger geistiger Aktivitäten.

     Wenn man Strauß Recht gibt, dann ist die Quintessenz dieses Paradigmas, dass es keinen notwendigen konstanten Zusammenhang zwischen ‚Begriffen‘ und Wörtern gibt. Es mag kein Zufall sein, dass gerade ungefähr zu dieser Zeit erste Komposita mit ‚ismus‘ auftauchen, wie etwa der ‚Relativismus‘[46]. Was der ‚Begriff‘ eines ‚Ismus‘ beinhaltete, wurde nicht notwendigerweise durch das Wort (den Stamm und das Suffix ‚ismus‘) ausgedrückt – das ist teilweise bis heute noch so, obwohl man eine scharfe und gut begründete Kritik am Gebrauch von ‚Ismen‘ in der Philosophie schon im 20. Jahrhundert etwa bei Ryle findet.[47] Entsprechend steht bei Kant das, was das Wort ‚Vernunft‘ aussagt, nicht im notwendigen Zusammenhang mit der ganzen Menge der Merkmale des ‚Begriffs‘ der Vernunft.

     Das „klassisch-dyadische Paradigma“ wurde laut Strauß spätestens seit dem Strukturalismus verworfen. In der Tat, wie Saussure argumentierte, sind Wörter als materielle Zeichen – abgesehen von einigen wenigen Fällen wie der Lautmalerei – zwar das Ergebnis einer willkürlichen Bildung. Er fügte jedoch hinzu, dass es nicht in der Macht des Einzelnen liege, willkürlich Bedeutungen zu ändern, die den Wörtern einmal zugewiesen wurden.[48] Wie Gasparri, Filippi, Wild und Glock kürzlich gezeigt haben, ist semiotische Willkür ein komplexer Begriff, der in der Sprachwissenschaft nur eine begrenzte Erklärungskraft hat.[49]

     Die Vorgehensweisen „man bildet einen ‚Begriff‘ und gibt ihm den Namen ‚Vernunft‘ oder man analysiert einen ‚Begriff‘ der Vernunft“ und „das Wort ‚Vernunft‘ gab es schon vorher mit einer gewissen analysierbaren Bedeutung und diese Bedeutung sollte man nicht unbedingt willkürlich ändern“ gehören unterschiedlichen Paradigmen an. Im Folgenden werde ich aus Platzgründen nicht auf verschiedene Bedeutungstheorien eingehen, sondern direkt die aus meiner Sicht beste Möglichkeit vorstellen, das Vagheitsproblem in Bezug auf philosophische Terminologie zu lösen.

 

3.3 Linguistischer Originalismus

 

Wie aus dem Vorhergehenden klar geworden sein müsste, sehe ich den Grund für die Tatsache, dass viele philosophische Termini dunkel erscheinen und beliebig neudefiniert werden, im Fehlen von drei trennscharfen Unterscheidungen: (a) zwischen der Analyse und Bildung; (b) zwischen der empirisch überprüfbaren und nicht-überprüfbaren Merkmalssemantik (was Kant ‚empirische‘ vs. ‚reine Begriffe‘ nennt); und (c) zwischen Wort und Begriff. Die eine Hälfte der Lösung des Vagheitsproblems besteht darin, diese Unterscheidungen zu machen. Die andere in der Wahl der richtigen Methode.

     Am Anfang der Monographie „Metaphilosophie als einheitliche Disziplin“[50] habe ich eine Methode entworfen, die mir dabei helfen sollte, epistemische und epistemologische Ausdrücke (wie ‚Position‘, ‚Perspektive‘, ‚Relation‘, ‚epistemisch‘, ‚Relativismus‘ und ‚Perspektivismus‘) von Polysemie zu befreien und zu ordnen. Sie besteht darin, der ursprünglichen Bedeutung eines Wortes bei seiner ersten Bildung nachzugehen und damit einen Anhaltspunkt zur Unterscheidung von der Kernbedeutung eines Wortes von der Vielfalt zum Teil willkürlicher Neudefinitionen zu finden. Ich habe sie als Methode des ‚Originalismus‘ bezeichnet. Dabei habe ich selbst nicht hinreichend zwischen Wort und Begriff unterschieden – ähnlich wie Williamson, der sich selbst im Hinblick auf „The Philosophy of Philosophy“ (wie oben erwähnt) kritisiert hat. Das ist sowohl aus den erörterten Gründen wichtig als auch zur Abgrenzung vom ‚begrifflichen Originalismus‘ von Sainsbury und Tye. Sainsbury und Tye behaupten, dass „[f]or every concept, there is just one originating use“[51]. Als beispielsweise „Gell-Mann originated the concept QUARK, he was in no way deferring to other uses of the concept“[52]. Die Theorie von Sainsbury und Tye hat sich wahrscheinlich gerade deshalb nicht durchgesetzt, weil sie nicht zwischen Wörtern und Begriffen unterschieden. Sie gingen von der unhinterfragten Annahme aus, dass Menschen, die dieselben Wörter kennen, auch dieselben Begriffe haben.[53] Später haben sie klargestellt, die Entstehung von Wörtern „serves as a model for the origination and propagation of concepts“[54]. Sie wichen also der Kritik aus, indem sie behaupteten, dass Analysen von Wörtern und Begriffen unabhängig voneinander stattfinden können. Da ich gerade auf das Umgekehrte abziele – nämlich, dass die Wörter selbst ernstgenommen werden, damit der Beliebigkeit der philosophischen Begriffsarbeit gewisse Grenzen gesetzt werden, bezeichne ich mein Projekt lieber als ‚linguistischen Originalismus‘.

     Linguistischer Originalismus will der ‚unreinen Begriffsanalyse‘, ‚Begriffsbildung‘, ‚Begriffsdichtung‘ und freiem ‚Begriffsengineering‘ durch Erinnerung an den Wortursprung gewisse Grenzen setzen. So kann man zum Beispiel den vielfachen und teilweise einander widersprechenden Verwendungsweisen des Ausdrucks ‚epistemisch‘[55] das altgriechische ‚histanai‘ (stehen bleiben und etwas zum Stehen bringen) entgegenstellen, das den Hinweis enthält: Ich erkenne etwas, wenn ich zumindest eine Zeit lang vor einem Objekt stehe und es fixiere.[56] Dadurch kann man den Gebrauch von ‚epistemisch‘ von Verwendungsweisen in der Bedeutung ‚nicht-praktisch‘, ‚alethisch‘, ‚bezogen auf Wissen‘ vs. ‚bezogen auf Meinung‘ etc. ‚reinigen‘ und/oder ordnen. Das allgemeine Verfahren des linguistischen Originalismus kann man wie folgt beschreiben:

 

(1) Suche nach dem Signifikanten S (zeitgenössisches Wort, z. B. ‚epistemisch‘); (2) Suche nach dem Signifikanten S(urspr.) (ursprüngliche Wortbildung, auf die S zurückgeführt werden kann (z. B. in altgriechischen, lateinischen, indogermanischen, finno-ugrischen usw. Wurzeln, Präfixen und Suffixen), z. B. ‚epi-‘ und ‚histanai‘ im Altgriechischen); (3) Suche nach dem Signifikat O (ursprüngliches Bild/Modell/Handlung/symbolisches Element, z. B., ‚stehen bleiben‘ und ‚zum Stehen bringen‘); (4) Korrigiere den zeitgenössischen Gebrauch von S (z. B. durch Elimination von Bedeutungen, die mit O offensichtlich unvereinbar sind oder sich zu weit von O entfernen).

 

Der linguistische Originalismus hat etwas mit der etymologischen Methode gemein, jedoch dürfen beide nicht gleichgesetzt werden. Wenn Hazlett nach der Konsultation des Liddel-Scott-Jones Greek-English Lexicon behauptet, dass die Etymologie von ‚epistemisch‘ in keiner Weise hilfreich sei, um die heutige Bedeutung zu verstehen, versteht er unter ‚Etymologie‘ so etwas wie ein historisches Nachverfolgen des unterschiedlichen Wortgebrauchs.[57] Er zieht es nicht in Betracht, die ursprüngliche Wortbildung und Bedeutung des altgriechischen ‚histanai‘ selbst zu untersuchen und daraus Folgerungen zu ziehen.

     Es gibt scharfe Kritiker der etymologischen Methode, die der Meinung sind, dass der Rückgriff auf die Etymologie per se fehlschlüssig sei, weil er eine Form des Arguments aus historischer Autorität darstelle und zur Ignoranz oder verwirrenden Interferenzen mit zeitgenössischen Bedeutungen führe.[58] Allerdings bezieht sich meine Theorie des linguistischen Originalismus nicht auf irgendeinen historischen Gebrauch, sondern auf die ersten ursprünglichen Bilder, Modelle, Handlungen oder Symbole (oben unter (3)), die notwendigerweise mit der ersten Wortbildung verbunden wurden. Wie schon Austin bemerkt, „schüttelt ein Wort niemals – nun ja, fast niemals – seine Etymologie und seine Bildung ab“[59]: alte Vorstellungen, einfache „Bilder oder Modelle“ bleiben trotz aller Bedeutungsänderungen im Laufe der Zeit bestehen. Eine ähnliche Idee findet sich in Blumenbergs „Metaphorologie“.[60] Die Geschichte der Wörter liefere Orientierungen, Bilder und elementare Modellvorstellungen, in denen abstrakte philosophische Termini wurzeln. Bleiben solche Bilder resistent gegen radikale terminologische Revisionen, könne man sie als ‚absolute Metaphern‘ bezeichnen. Die philosophische Terminologie sei – so Stegmaier – voll von solchen ‚absoluten Metaphern‘ im Sinne Blumenbergs – z. B. ‚Perspektive‘, ‚Position‘, ‚Horizont‘, ‚Relation‘, ‚Kontext‘ usw.[61] Im Konkreten bilden sie eine originäre systemische Einheit, die auf der abstrakten Ebene möglicherweise nicht erkennbar ist. Nach Deutscher sei die gesamte Struktur der Sprache ein „Riff aus toten Metaphern“ (Abstraktionen vom Konkreten), wobei die Metapher „ein unverzichtbarer konzeptueller Mechanismus ist, der es uns erlaubt, abstrakte Notionen in Form einfacherer konkreter Dinge zu denken“ und „die einzige Möglichkeit, die wir haben, mit Abstraktion umzugehen“[62]. In der kognitiven Linguistik scheint die breite Verwendung von Metaphern die „Verkörperungshypothese“ zu stützen, wonach abstrakte Vorstellungen und sprachliche Fähigkeiten und entsprechende Repräsentationen „letztlich auf unserer körperlichen Erfahrung in der Welt beruhen“[63].

     Sicherlich kann man von ‚toten Metaphern‘ reden, aber vielleicht auch von ‚toten Zeichen‘. Das Wort ‚epistemisch‘ klingt wie ein totes Zeichen, weil die meisten Zeitgenossen in ihm das altgriechische ‚histanai‘ nicht wiedererkennen. Das gibt ihnen die vermeintliche Autorität, diesen Ausdruck so zu definieren, wie es ihnen passt. Anders sieht es etwa mit dem Lexem ‚Begriff‘ aus – kompetente Sprecher des Deutschen werden in ihm das ‚Greifen‘ wiedererkennen, die zugrundeliegende haptische Metapher. Werden sie dieses Wort mit irgendeiner Bedeutung belegen, die diesem ursprünglichen Bild widerspricht? Vermutlich nicht mehr mit derselben Rücksichtslosigkeit, sobald sie erkennen, dass es sich um kein ‚totes Wort‘ handelt. Das ursprüngliche Bild, das die historische Kommunikationsgemeinschaft vorstellte, lebt im Ausdruck fort und ist nicht, wie im ‚klassisch-dyadischen Paradigma‘, von ihm zu trennen.

     Die Relevanz dessen, was das sprachliche Zeichen selbst mitteilt, wächst mit dem Abstraktheits- bzw. nach Kant: ‚Reinheitsgrad‘. Je mehr wir uns vom empirisch Überprüfbaren entfernen, desto mehr brauchen wir anderweitige Anhaltspunkte und Hinweise. Welche Anhaltspunkte gibt das Wort ‚Vernunft‘, das Kant zur Bezeichnung des ‚reinen Begriffs‘ von dem, was er unter ‚Vernunft‘ versteht, benutzt? Die historisch-semantische Untersuchung führt auf das Verb ‚vernehmen‘, wobei die Vorsilbe ‚ver-‘ auf eine Übertragung und ‚nehmen‘ auf ‚fassen‘ und ‚kaufen‘ verweist.[64] Die Phrase ‚Theorie der intellektuellen Vernunft‘ könnte also so etwas wie ‚Theorie des intellektuellen Nehmens, Fassens, Begreifens‘ bedeuten. Um den Ausdruck ‚Vernunft‘ von dem ihn in philosophischen Untersuchungen begleitenden Problem der Vagheit zu befreien, muss man sich an diese ursprüngliche Bestimmung halten. Und Kant hätte das auch viel deutlicher tun sollen.

 

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* Die Arbeit an diesem Beitrag wurde durch das „Russian Federal Academic Leadership Programme Priority 2030“ an der Baltischen Föderalen Immanuel-Kant-Universität Kaliningrad unterstützt.

[1] Ich verwende hier und überall im Aufsatz das generische Maskulinum ausschließlich aus Lesbarkeitsgründen.

[2] Ich benutze folgende Abkürzungen: Kants Werke (nach der Akademie-Ausgabe (AA), ausgenommen KrV (nach der Originalpaginierung A/B und Meiner-Ausgabe)) – KrV (Kritik der reinen Vernunft), Log (Jaesche-Logik), V-Lo/Blomberg (Logik Blomberg); Br (Briefe). Fichtes Werk ‚WL-1804-II‘ (Zweiter Vortrag der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1804) wird nach der Gesamtausgabe (GA) zitiert.

[3] Vgl. zu dem Dargelegten im Detail Lewin, „Kant on Philosophy as Conceptual Analysis“.

[4] Ich werde im Folgenden ‚Begriff‘ in einfache Anführungszeichen setzen, weil ich den Ausdruck selbst auf diese Weise nicht verwenden würde. Ich rekurriere damit auf den Sprachgebrauch von Kant und von vielen zeitgenössischen Philosophen.

[5] Rorty, „Recent Metaphilosophy“, 299.

[6] Ibid., 300.

[7] Vgl. Lewin, „Metaphilosophie als einheitliche Disziplin“, 41-47.

[8] Carnap, „Der logische Aufbau der Welt“, 258-9.

[9] Vgl. Williamson, „Knowledge First Epistemology“ und „Knowledge and Its Limits“ sowie Gettier, „Is Justified True Belief Knowledge?“.

[10] Hazlett, „What Does ‘Epistemic’ Mean?“, 546.

[11] Carnap, „Die alte und die neue Logik“, 63.

[12] Glock, „Impure Conceptual Analysis“, 80-81.

[13] Quine, „Two Dogmas of Empiricism“.

[14] Williamson, „The Philosophy of Philosophy“.

[15] Vgl. ibid., 25-49.

[16] Vgl. Lewin and Williamson, „Kant and Analysis“, 67-70.

[17] Chalmers, „What is Conceptual Engineering and What Should it be?“.

[18] Vgl. Scharp, „Replacing Truth“; Cappelen, „Fixing Language“; und Burgess, Cappelen, und Plunkett, „Conceptual Engineering“.

[19] Vgl. zu dieser Diskussion Deutsch, „Speaker’s Reference“ und Koch, „There is no Dilemma“.

[20] Vgl. Chalmers, „Verbal Disputes“.

[21] Vgl. Lewin und Williamson, „Kant and Analysis“, 57.

[22] Vgl. Williamson, „The Philosophy of Philosophy“, 33.

[23] Vgl. Ryle, „Taking Sides in Philosophy“ und Lewin und Williamson, „Kant and Analysis“.

[24] Vgl. etwa Baghramian und Coliva, „Relativism“, 6-11 und Kusch, „II – Relativist Stances“ und „Wittgenstein’s On Certainty and Relativism“, sowie Williamson, “Tetralogue”, zu umgehen.

[25] Vgl. Lewin, „Kant on Philosophy as Conceptual Analysis“. Eine ältere Rekonstruktion der Begriffs- und Definitionsarten bei Kant findet man bei Beck, „Kant’s Theory of Definitions“.

[26] Vgl. Banner, „Nur noch acht Planeten“.

[27] Vgl. Grinspoon und Stern, „Yes, Pluto is a Planet“.

[28] Dies ist schon allein aus theoretischen Überlegungen klar (Abstraktion würde ‚reine Begriffe‘ von der Empfindung abhängig machen; Kombination würde entweder ‚gemachte Begriffe‘ ergeben, was der Theorie der Gegebenheit ‚reiner nicht-mathematischer Begriffe‘ widerspricht, oder zu ‚Begriffen‘ führen, die nicht rein genug sind (zwei Beispiele verschiedener weiser Menschen können die Idee der Weisheit nicht ergeben)). Zu den entsprechenden Passagen vgl. u. a. V-Lo/Blomberg, AA 21, 253; Kant an Reinhold, 19.05.1789 – Br, AA 11, 40; und Log, AA 09, 92.

[29] McAndrews Rekonstruktion von Kants Theorie der Begriffsbildung („Kant’s Theory of Concept Formation“, 4-9 und 11-16) ist insofern unvollständig, als der Autor den Unterschied zwischen empirischen und reinen (gegebenen) ‚Begriffen‘, der für die Erkennung dieses Dilemmas notwendig ist, nicht berücksichtigt.

[30] Vgl. die Übersicht in Lewin, „Das System der Ideen“, 106-111 sowie Buntes, „Determining and Grounding“, 399, Fußnote. 14, Antwort.

[31] Vgl. dazu auch Cicatello, „Der seltsame Fall der ‘Gegebenen Begriffe’ bei Kant“.

[32] Vgl. Willaschek et al., „Kant-Lexikon“, 2489-2519. Das ist bei Weitem nicht die komplette Menge der Prädikate: Die Vernunft ist auch ein Vermögen, es gibt sie im weiteren und engeren Sinne, sie ist teils (reines) Denken und teils (reiner) Wille, sie hat eine Domäne und Grenzen.

[33] Lewin, „The Faculty of Ideas“, 342. Ich habe bisher in zwei Aufsätzen versucht, die Kantische Methode der Begriffsanalyse auf ‚reine Begriffe‘ anzuwenden. Vgl. neben dem genannten Aufsatz den Versuch, Merkmale des ‚Begriffs‘ ‚Philosophie‘ zu sammeln und abschließend in einer ‚imperfekten Definition‘ zum Ausdruck zu bringen in Lewin, „Kant’s Metaphilosophy“.

[34] Siehe die Einleitung zu diesem Sammelband.

[35] Vgl. Schnädelbach, „Vernunft“. Vgl. auch Wildfeuer, „Vernunft“.

[36] Vgl. für diesen Weg insbesondere Lewin, „Das System der Ideen“.

[37] Vgl. zu einer systematischen Interpretation des fichteschen Systems, bei der das erste Prinzip eindeutig mit ‚Vernunft‘ (im engeren Sinne) identifiziert wird, ibid., 114-187.

[38] Vater, „Wort und Begriff“.

[39] Ibid., 148.

[40] Kitsik, „Attentional Progress“, 257.

[41] Schumann, „Begriffsanalyse“, 389.

[42] Nach Kann (vgl. Kann und Stegmaier, „Welche Sprache braucht die Philosophie?“, 67 und Kann, „Die Sprache der Philosophie“) bestehe das Problem auch in umgekehrter Hinsicht: Wörterbücher, die eigentlich Wörterbücher sein sollten, entpuppen sich oft als Begriffsbücher, eben weil zwischen ‚Wort‘ und ‚Begriff‘ nicht hinreichend unterschieden wird.

[43] Vgl. Williamson, „The Philosophy of Philosophy“, xxiv-xxvi.

[44] Lewin und Williamson, „Kant and Analysis“, 53.

[45] Strauß, „Wort ‒ Bedeutung – Begriff“.

[46] Krug „Encyklopädisches Lexikon“, 224.

[47] Vgl. Ryle, „Taking Sides in Philosophy“.

[48] Saussure, „Grundfragen“, 80.

[49] Gasparri, Filippi, Wild und Glock, „Notions of Arbitrariness“.

[50] Vgl. 13-34. Es sind auch mehrere Aufsätze dazu erschienen bzw. im Erscheinen, die im Zusammenhang mit meiner Forschungsgruppe zum Thema „Perspectivism as an Epistemological Program“ stehen (vgl. https://www.michaellewin.net/).

[51] Sainsbury und Tye, „An Originalist Theory of Concepts“, 104.

[52] Ibid., 102.

[53] Vgl. Milikans Kritik in „Loosing the Word-Concept Tie“.

[54] Sainsbury und Tye, „Seven Puzzles of Thought“, 61.

[55] Vgl. zu einer Übersicht Hazlett, „What Does ‘Epistemic’ Mean?“,

[56] Vgl. Kluge, „Etymologisches Wörterbuch“, 957.

[57] Vgl. Hazlett, „What Does ‘Epistemic’ Mean?“, 540.

[58] Vgl. Kolb, „Etymological Fallacy“, Faschilli, „On the Use of Etymology in Philosophy“, Gula, „Nonsense“, 48, und Wandruszka, „ Etymologie und Philosophie“, 864.

[59] Austin, „Philosophical Papers“, 149-150, übersetzt von M.L.

[60] Blumenberg, „Paradigmen zu einer Metaphorologie“, 13 und 20-1.

[61] Vgl. Kann und Stegmaier, „Welche Sprache braucht die Philosophie?“, 74 und 70. Es lassen sich einige Ähnlichkeiten zwischen Stegmaiers etymologisch orientierten ‚Sprachphänomenologie‘ (vgl. Stegmaier, „Philosophie der Orientierung“, 33 und 333) und dem linguistischen Originalismus finden. Für Stegmaier ist die Etymologie dafür hilfreich, dem Sprachgebrauch neue Impulse und Anhaltspunkte zu geben – auch wenn es (wie Kann am Beispiel von Heidegger zeigt), es verwirrende etymologische Methoden gibt: wenn die Etymologie etwa auf ein ungezügeltes Spiel von Assoziationen ausläuft, aus dem willkürlich philosophische Einsichten generiert werden.

[62] Deutscher, „The Unfolding of Language“, 142, übersetzt von M.L. Vgl. ibid., 115-143.

[63] Pelkey, „Embodiment and Language“, 4, übersetzt von M.L. Vgl. Gibbs, „Embodied Action in Thought and Language“, 234-243.

[64] Vgl. Kluge, „Etymologisches Wörterbuch“, 955 und 651.